Weihnachten ohne dich – Wie soll das gehen?

Weihnachten. Die Zeit der Liebe, die Zeit der Familie. In der Trauer, gerade am Anfang, oft eine ganz besonders schwere und sehr emotionale Zeit. Eine Zeit voller teils schmerzhafter Erinnerungen, in der die Lücke, die unser geliebter Mensch hinterlassen hat, ganz besonders deutlich wird. Ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten Dezember nach Julians Tod. Wie unerträglich diese Fröhlichkeit, Besinnlichkeit, dieser ganze Weihnachtskram überall. Jedes “Frohe Weihnachten” an der Supermarktkasse, jeder in meinen Augen unüberlegt dahingesagte gute Wunsch für diese Zeit versetzte mir einen Stich im Herzen, im Bauch, eigentlich im ganzen Körper. Wie sollte ich das bloß aushalten, diese Zeit nun ohne Julian erleben zu müssen?

Ich weiß noch wie ich Anfang Dezember aus Versehen eines Tages auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt stand. Unfassbar, dass die Stände einfach genauso aufgebaut waren wie im Jahr zuvor. Als wäre nichts passiert in der Zwischenzeit! Hatte denn niemand bemerkt, dass die Welt seitdem stehengeblieben, wenn nicht sogar untergegangen war, dass ein ganz wichtiger Teil fehlte und nichts mehr so war wie vorher, absolut gar nichts? Ich konnte es nicht begreifen, nicht wahrhaben, dass nicht wenigstens ein kleiner Stand fehlte oder irgendetwas sonst zu sehen war, das mir zeigte, dass auch der Rest der Welt gemerkt hatte, was geschehen war. Ich stand wie angewurzelt da und wusste nicht, wie ich mit diesem Anblick umgehen sollte. Für alle Menschen um mich herum war dieser Weihnachtsmarkt völlig normal, für mich war er wie ein Schlag ins Gesicht. Ich wollte schreien und toben und alle um mich herum durchrütteln. “Wisst ihr denn nicht, was geschehen ist?! Hört sofort auf so zu tun als wäre nichts anders! Hört sofort auf mit diesem schrecklichen Theater!!” Natürlich tat ich nichts dergleichen und schaffte es stattdessen irgendwie, mich selbst von diesem Ort zu entfernen, heim zu schleppen und dort weinend zusammenzubrechen. Ich habe es in den Wochen danach vermieden, auch nur ansatzweise in die Nähe eines Weihnachtsmarktes zu gehen.

Vielleicht geht es dir in diesem Jahr ähnlich wie mir damals. Weihnachten rückt immer näher und du weißt nicht, wie du es jemals überstehen sollst. Dein geliebter Verstorbener wird in diesem Jahr nicht an seinem Platz sitzen – vielleicht in der Mitte der Familie, vielleicht neben dir, da wo er eben all die Jahre zuvor immer saß. Während alle anderen Menschen sich auf das Fest gemeinsam mit ihren Lieben freuen, fühlst du vielleicht einfach nur Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Wut oder Einsamkeit. Ich könnte dir jetzt sagen, dass es irgendwie vorbei geht, dass du es schaffen wirst, dass sich sogar das verändern und du vielleicht irgendwann einmal wieder Freude in Bezug auf Weihnachten empfinden wirst. Aber das alles ist so weit weg, so surreal, so falsch. Deshalb sage ich dir einfach: Ich verstehe dich und es tut mir leid, dass du das gerade durchmachen musst. Du bist nicht alleine damit. Auch wenn alle anderen scheinbar nichts davon bemerken, so fehlen unsere geliebten Verstorbenen an diesem Weihnachten und werden für immer eine Lücke in unserer Welt hinterlassen.

Das folgende Zitat ist mir gestern begegnet und hat mich beim Lesen zutiefst berührt. Ich finde es gerade jetzt für die Weihnachtszeit besonders passend:

“Versuch nicht, in dieser Zeit des Verlusts, ’nicht traurig zu sein‘. Trauer und Traurigkeit gehören zu den Methoden des Herzens, einen anderen zu ehren. Und Glücklichsein ist ebenso eine Methode. Du ehrst die Seele deines Geliebten, Jackie, indem du jetzt deine Traurigkeit voll und ganz fühlst. Und du wirst die Seele deines Geliebten ehren, indem du auch dein Glücklichsein voll und ganz fühlst, wenn der Tag und die Zeit dafür gekommen sind – was ganz sicher der Fall sein wird.“
Zuhause in Gott – Über das Leben nach dem Tode (Neale Donald Walsch)

Du ehrst die Seele deines geliebten Verstorbenen, indem du deine Traurigkeit voll und ganz fühlst. Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen und vielleicht ist das alles, worum es für dich in diesem Jahr an Weihnachten gehen darf.

Vielleicht ist der Tod deines geliebten Verstorbenen auch schon eine Weile her und du merkst, dass du in diesem Jahr wieder glücklich sein könntest. Manchmal ist auch das gar nicht so leicht und oft mit der Frage verknüpft, ob das denn okay wäre, einfach so wieder glücklich zu sein. Ja, es ist okay, denn auch indem du glücklich bist, ehrst du die Seele deines geliebten Verstorbenen.

Zum Schluss möchte ich dir noch ein kleines Licht mitgeben, eine winzige Idee, wie Weihnachten vielleicht auch gesehen werden könnte. Nicht nur, aber auch. Damit möchte ich den Schmerz nicht kleinreden und erst recht nicht “wegmachen”, denn er hat seine Berechtigung und soll seinen Platz haben, ja er ist meinem Gefühl nach sogar ganz wichtig. In der Trauer habe ich aber auch gelernt, dass viele Gefühle gleichzeitig da sein können. Und so möchte ich mal wieder über die Liebe schreiben. Denn das ist es doch angeblich, das Fest der Liebe. Und für mich ist Trauer auch genau das: Liebe. In der Trauer drücke ich meine Liebe zum Verstorbenen aus und suche nach neuen Wegen, sie zu leben und in Verbindung zu bleiben. Der Schmerz der Trauer ist so groß weil die Liebe zu meinem geliebten verstorbenen Menschen so groß ist. Und diese Liebe bleibt bestehen. Vielleicht kannst du versuchen, an Weihnachten ganz bewusst in diese Liebe hineinzufühlen. Wie fühlt sie sich an, wie nimmst du sie wahr, wie nimmst du vielleicht auch deinen geliebten Menschen jetzt wahr? Ich glaube, dass sie uns gerade an solch schwierigen Tagen oft ganz nahe sind, uns zur Seite stehen und wir das auch spüren und zulassen dürfen. Du wirst nicht verrückt, nur weil du diesen Gedanken zulässt, weil du dir wünschst, in Liebe mit deinem verstorbenen Menschen verbunden zu bleiben. Vielleicht ist gerade Weihnachten eine gute Zeit für dieses großartige Gefühl, um dieser Liebe zu unseren Verstorbenen Raum und Ausdruck zu geben.

Wie fühlst du dich in diesem Jahr in Bezug auf Weihnachten? Was macht es dir besonders schwer und was hilft dir vielleicht in dieser Zeit? Wie planst du die Feiertage? Was hat dir vielleicht an vergangenen Weihnachten geholfen, um besser mit dieser großen Lücke umgehen zu können? Teile gerne alles, was dir dazu auf dem Herzen liegt, in den Kommentaren. Gerne kannst du mir wie immer auch eine Mail schreiben, wenn du deine Gedanken und Gefühle lieber nicht öffentlich teilen möchtest.

6 Gedanken zu „Weihnachten ohne dich – Wie soll das gehen?“

  1. Liebe Silke,
    danke für diesen -für mich- sehr zutreffenden Beitrag. Ich hatte ihn schon vor Weihnachten sehr gründlich gelesen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! (Weshalb ich es auch nicht tat)
    Die „Festttage“ bedeuteten sehr viel Tränen und Traurigkeit.
    Ja, Trauer ist Liebe!
    Und somit war es ein „Fest der Tränen“!
    Ich habe für mich die ganze Adventszeit so geplant, dass ich viel, viel Zeit für mich in unserem Heim habe, ich schmückte es so, wie wir es immer gern hatten, aber weniger. Genauso so, wie es für mich ok war.
    Das hat ewig gedauert und bedeutete am Ende z.B. ja zu den gehandarbeiteten Tischdecken meiner Liebsten und Tannengrün, nein zu Lametta und Kugeln, ja zu einer Kerze, nein zu einem Adventskranz.
    Ach ja. Und ja zu dem lustigen Schneemann.
    Aber nur weil er aus seiner Pappkiste heraus unentwegt protestierte!

    Zuhause konnte ich so in innerer Zweisamkeit abwechselnd weinen und mich in angenehmer, heimeliger Atmosphäre erholen.
    Und so gestärkt konnte ich für ein paar Stunden zwischendrin Freunde und Verwandte besuchen.
    So war es für mich „erträglich“. Und für die anderen glaub ich auch.

    Ich hatte übrigens ganz viele Einladungen erhalten, was mich unheimlich gestärkt hat.
    Ich habe nach einiger Überlegung allen gesagt: „Danke für die Einladung! Es tut zu wissen, dass ich jederzeit bei Euch anklopfen kann. Auch wenn ich es nicht in Anspruch nehmen werde, ist diese Gewissheit schon die größte Hilfe für mich!“
    Ralf

    Antworten
    • Lieber Ralf,
      danke dir für deinen Kommentar und dass du mich und die anderen hier damit an deinem Weihnachten teilhaben lässt. Ich finde es immer wieder berührend, wie du mit deiner Trauer umgehst, ganz liebevoll mit dir selbst, dir die Zeit und den Raum gibst, um Schritt für Schritt herauszufinden und zu „erfühlen“, was denn gerade gut tun würde. Und das alles in der Verbindung mit deiner Liebsten. Die Liebe zu ihr ist in deinen Zeilen immer so wunderbar zu spüren.
      Herzliche Grüße
      Silke

      Antworten
    • Mein über alles geliebter Mann ist vor 4 Woche auf einmal gestorben. Ich finde für meine unermessliche Trauer keine Worte, weil es dafür keine gibt. Ich esse kaum noch, schlafe wenig und habe nur noch einen Gedanken in meinem Kopf, mein Mann und warum. Es quält mich und an die Feiertage darf ich gar nicht denken. Auch wenn man bei jemandem sein kann, ist man doch allein, und das die anderen ihren Partner noch haben, tut mir weh. Ich kann in diesem familiären Gesellschaften nicht sein, es zerreißt mich. Ich bin so verzweifelt, so das ich nicht weiß wohin..Es gibt aus dieser Situation keinen Ausweg..
      den eigenen Tod, den stirbt man nur, aber mit dem Tod des geliebten Menschen müssen wir leben..

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      • Liebe Sylvia,
        es tut mir sehr leid zu lesen, dass dein lieber Mann gestorben ist. 4 Wochen, das ist noch eine so kurze Zeit, um überhaupt zu begreifen, was es bedeutet. Ich finde es sehr verständlich, dass sich bei dir alles um seinen Tod dreht und Dinge wie schlafen und essen schwer fallen. Ich wünsche dir, dass du Menschen findest, die dich unterstützen, bei denen du mit deiner Trauer sein kannst. Vielleicht schaust du mal in deiner Gegend nach Trauergruppen. Manchmal hilft es, im Austausch mit anderen festzustellen, dass du nicht alleine bist mit dem, was zu erlebst. Wenn ich dir da irgendwie weiterhelfen kann, schreib mich gerne an.
        Ich wünsche dir von Herzen alles Gute für deinen Weg. Mögest du Schritt für Schritt herausfinden, wo er lang führt.
        Silke

  2. Liebe Silke,

    durch „Zufall“ bin ich über Deine Bücher und die Seite hier gestolpert … und eigentlich ist es überhaupt nicht mein Ding, zu posten und offen zu erzählen, weshalb ich auch facebook & Co. meide.

    Aber Du, Dein Beitrag, Deine Bücher, das hat mich einfach angezogen und Deinen Beitrag habe ich weiß nicht wie oft gelesen, aufgesaugt und mir zig Mal überlegt, nun doch zu schreiben.

    Mein Mann starb letztes Jahr am 15.12.2017 mit nur 47 Jahren an einem Hirntumor bzw. an dem 4. Rezidiv. Das waren über Jahre Operationen, Rehaaufenthalte und Hoffnung. Und jetzt ist er weg. Und unsere 14jährige Tochter und ich sind hier. Surreal und unglaublich. Zum Schreien und Weinen.

    Wir haben einen tollen Freundeskreis und vor ein paar Tagen fragte mich eine Freundin, ob wir uns zum 1. Todestag auf einen kleinen Umtrunk treffen wollten. Aber das ist genauso unmöglich und unvorstellbar wie der Besuch auf den fröhlichen Weihnachtsmärkten.

    Meine Tochter und ich haben unsere Wohnung auch ein wenig weihnachtlich geschmückt, aber natürlich längst nicht so wie die Jahre zuvor, zumal auch die weihnachtliche musikalische Untermalung dazu schweigen musste. Wir fahren am 18. Dezember für 3 Wochen in Mutter-Kind-Kur nach Rügen und da freuen wir uns darauf. Ein komplett anderes Weihnachten und Silvester, und auch über den Geburtstag meines Mannes am 6. Januar sind wir noch weg.

    Manchmal möchte ich meinen Mann gar nicht richtig spüren und fühlen, weil das noch so unsagbar weh tut und mich jedes Mal weinen lässt. Ich muss auch den Balanceakt schaffen zwischen weinen in der Trauer und für unser Mädchen in der Pubertät da zu sein. Sie weint längst nicht so viel wie ich und verarbeitet alles irgendwie anders. Wir beide stehen uns sehr nahe und reden auch ganz offen über den Tod, den Verlust und die Trauer.

    Herzliche Grüße und euch eine gute, friedvolle Zeit.

    Marion

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