„Wie gut, dass deine Eltern das nicht mehr miterleben müssen. Von Corona haben sie ja nichts geahnt!“. Ich kann es nicht mehr hören und verdrehe innerlich die Augen. Trotzdem nicke ich – wie so oft in letzter Zeit – schweigend. „Gut“ scheint mir in diesem Zusammenhang doch ein ziemlich relativer Begriff zu sein. Ich kann dem viel zu frühen Tod meiner Eltern nichts wirklich Gutes abgewinnen.
Mein Vater war schwer herzkrank und verbrachte die letzten Monate seines Lebens in einer Spezialklinik fernab der Heimat. Wir haben alle sehr unter der Trennung gelitten und noch heute stimmt es mich traurig, wenn ich daran denke, wie einsam er sich gefühlt haben muss. Nein, von Corona hat er nichts geahnt – wohl aber von der Isolation, der Distanz und Entfremdung.
Meine Mutter konnte sich im Hospiz, nur wenige Monate nachdem mein Vater gestorben war, noch ohne Kontaktbeschränkungen und Masken von uns verabschieden – frei und selbstbestimmt. Es scheint mir nur folgerichtig, dass sie nach über 40 gemeinsam verbrachten Jahren meinem Vater nachfolgte. Knapp war es – mit Blick auf Corona – zeitlich trotzdem: Während ich an ihrem Sterbebett zwischen ihren Hilferufen betete, dass sie endlich erlöst werden möge, wurde in Ischgl und Heinsberg schon gefeiert.
Aber gutheißen kann ich den Verlust meiner Eltern, die ich im Übrigen sehr geliebt habe, nicht.
So gesehen kommen mir die Corona-Schutzmaßnahmen ganz recht. Mein Leben hat sich fundamental verändert. Da scheint es mir nur konsequent, dass auch der Rest der Welt eine Weile stillsteht. Geschieht ihr ganz recht. Sollen doch die anderen auch mal verzichten auf etwas, das ihnen wichtig ist.
Fast noch mehr als die Beschränkungen allerdings trifft mich einige Wochen später die langsame Rückkehr zum Alltag. Ich bin sprachlos, wie nach und nach alles wieder seinen gewohnten Gang geht. Und meine Eltern sind immer noch tot.
Ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, das im Badeanzug im Schneesturm steht: Völlig deplatziert, schutzlos ausgeliefert – und niemand kommt, um mich zu retten.
Da bin ich richtiggehend erleichtert, dass mein runder Geburtstag in die Zeit des Lockdowns fällt und die eigentlich zu erwartende Party ohne Rückfragen einfach ausfällt. In den letzten Jahren, als meine Eltern schon krank waren, war es mein sehnlichster Wunsch, dass sie beide oder wenigstens einer von ihnen diesen Tag noch mit mir erleben darf. Nun muss ich ihn ohne sie verbringen – in einer Welt, die nicht mehr die ihre ist.
Ich schließe die Augen.
„Ja, so vergeht die Zeit“, antworte ich schließlich, „und von Corona haben sie nichts geahnt“.
(Erzählt von Erika)
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