Laut werden. Das war damals, nach Julians Tod, irgendwann mein Weg. Laut werden im Sinne von darüber reden, schreiben, meiner Trauer Ausdruck verleihen. Ein heilsamer Weg, für mich persönlich. Ein Weg, der in einen großen Frieden mit dem Thema für mich führte. Indem ich mich zeigte, mit all meinen Gefühlen, so wie ich bin, erlaubte ich mir auch, einfach ganz ich selbst zu sein. Wo ausgesprochen werden darf was ist, da entsteht Freiheit. Jedenfalls für mich.
Kaum hatte ich diese Freiheit für mich erreicht, war mein Blog etabliert, mein erstes Buch erschienen, mein Leben von außen betrachtet wieder richtig gut, da stolperte ich in ein neues, noch größeres Tabu. Eins, über das ich auch mit aller vorheriger Erfahrung zunächst nicht sprechen konnte. Ein Thema, für das ich mich lange Zeit sehr tief schämte und selbst verabscheute. Auch jetzt erzählen mir ein paar Stimmen im Kopf, dass ich es lieber verschweigen sollte. Was denken denn die Leute von mir, wenn ich das öffentlich mache? Wem passiert denn sowas schon?
Doch wie soll sich jemals etwas ändern, wenn wir nicht endlich aufhören zu schweigen?
Gerade also als mein Leben wieder rundum gut zu sein schien, gerade als ich mich ganz in meiner Kraft fühlte und alles sich erfüllte, was ich mir erträumt hatte, gerade in dieser Zeit gelang es mir auch, mich neu zu verlieben. Ein wunderbarer, großer Schritt, wenn man bedenkt, dass ich das nach Julians Tod eigentlich nicht mehr wollte. Nur leider verliebte ich mich in meinen Therapeuten. Was ansich nicht schlimm ist und wie ich heute weiß sehr vielen Menschen passiert. Blöd war nur, dass er sich mit darauf einließ und sich dann einer Auseinandersetzung mit mir entzog. Blöd gelaufen, könnte man sagen. Passiert nunmal, dass einer mehr will als der andere. Im Rahmen einer Therapie hat das jedoch Auswirkungen, die ich damals noch nicht ansatzweise erfassen konnte. Es stellte alles in mir in Frage, zog mir den Boden unter den Füßen weg und führte schließlich zu einem Zusammenbruch. Heute nenne ich es „Missbrauch“, obwohl ich das Wort schwer finde. Ich nenne es vor allem so, um klar zu machen, was es mit mir gemacht hat. Erst das Sprechen darüber hat für mich etwas verändert. So sehr, dass endlich wieder ganz neues Leben möglich ist.
Ich weiß mittlerweile, dass das Thema viele, vor allem Frauen, betrifft. Und es beschäftigt mich, dass es kaum eine Plattform dafür gibt. Dass die Zahlen zwar hoch sind, aber dennoch so viele schweigen. Ich verstehe es, denn ich selbst fand den Weg heraus aus dem Schweigen sehr beschwerlich. Ich spreche heute darüber, um auch dich einzuladen, darüber zu sprechen.
Mir selbst hat letztes Jahr als erste Kontaktstelle der Ethikverein geholfen, um überhaupt ansatzweise verstehen zu können, was mir da eigentlich geschehen war.
Wenn du magst, schreib mir, wenn du selbst etwas Ähnliches erlebt hast. Manchmal hilft es, einfach jemandem gegenüber auszusprechen, was eigentlich nicht ausgesprochen werden kann. In jedem Fall bist du nicht alleine.
Eine kleine Bitte habe ich zum Schluss: Ich teile häufig sehr persönliche Dinge in der Öffentlichkeit. Das mache ich, weil es mich ruft, nicht um Ratschläge zu bekommen. Bitte schreib mir also nicht, um mir zu erzählen, was ich tun sollte oder welche Dinge du über mich zu wissen meinst. Ich weiß, diese Mails sind immer gut gemeint, helfen aber ungebetenerweise gar nicht weiter. Danke für dein Verständnis.
Bild: debowscyfoto, pixabay
Liebe Silke,
ich bewundere deinen Mut und deinen Weg „laut“ zu werden! Auch dieses Mal! Ein sehr bewegendes und ehrliches Interview.
Von Herzen wünsche ich dir weiterhin Kraft, durch diese Phase des Lebens zu gehen.
Danke für deinen Blog und deinen Mut!
Alles Liebe!
Danke dir für deine Worte und deine guten Wünsche.