„Du bist eine so starke Frau“

Du sagst, du bewunderst mich. Weil ich eine so starke Frau bin. Weil ich so einen bewundernswerten Umgang mit meinem Schicksal habe, so offen darüber spreche und so viel Hoffnung und Lebensfreude ausstrahle. Es ist schön, dass du mir das sagst. Es ist schön, dass du dich davon berühren lässt. Es ist schön, dass du nun vielleicht in meiner Nähe sein möchtest. Etwas von dieser Stärke bekommen, für dein Leben etwas mehr Weisheit, Gelassenheit und Kraft.

Das verstehe ich gut. Und ich freue mich wirklich aufrichtig über deine Worte. Weißt du, wie ich so stark geworden bin? Weißt du, woher meine Weisheit kommt, mein Frieden und mein heutiger Umgang mit diesem schlimmen Schicksalsschlag? Ich bin mitten hindurch gegangen. Denn zunächst war es einfach nur das: Ein schrecklicher Schicksalsschlag, der mir alles genommen hat, zerbrochen und zerstört. Mitten durch tiefsten Schmerz, dunkelste Täler und unendlich viele verzweifelte, einsame Stunden bin ich gegangen. Was blieb mir auch anderes übrig? Es war die Hölle. Immer wieder war es einfach nur die Hölle. Richtig lange. Und mit richtig lange meine ich mehr als ein paar Monate. Ich meine Jahre. Jahre der Trauer, Orientierungslosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Heute feierst du mich für meinem Umgang damit. Wie wärst du mit mir umgegangen, wenn du mir inmitten meiner Hölle begegnet wärst? In Zeiten, als ich morgens kaum aus dem Bett kam und das Haus nicht verlassen wollte. In Zeiten, als ich in meiner Trauer versank und drohte, darin zu ertrinken.

Ich frage dich das nicht aus einem Vorwurf heraus. Ich will bloß, dass du weißt, dass Schmerz gefühlt werden will. Auch wenn er noch so dunkel und scheußlich zu sein scheint. Ich möchte nicht dastehen als das Märchen von der Frau, die auf tragische Weise ihren Freund verloren und dann so ganz wunderbar und scheinbar halb erleuchtet, in jedem Fall immer strahlend ihren Weg damit gefunden hat und heute andere Menschen damit inspiriert. So bin ich nicht und so war ich nie. So ist das Leben nicht. Das Leben will gelebt werden. In allen Zeiten, in allen Facetten. Die dunklen Seiten gehören dazu. Es lohnt sich, sich darauf einzulassen, aber es hat nichts Strahlendes an sich, nichts, was man auf Facebook teilen oder sehen möchte. Es lohnt sich, aber es tut trotzdem scheiße weh und ist schrecklich anstrengend. So viel zumindest habe ich gelernt in den vergangenen Jahren.

Ich glaube nicht, dass es immer unbedingt Schmerz braucht, wir müssen uns nicht absichtlich da hinein begeben. Aber wenn er da ist, dann ist er auch eine Chance. Wenn wir hindurch gehen. Das war mein Weg. Und er hat mich stark gemacht. Ist das etwas, das es an mir zu bewundern gilt? Eher nicht. Denn wir alle haben dieses Potential in uns. Ich zeige dir nur, was möglich ist. Für jeden von uns. Wenn du also sagst, dass ich so stark bin, dann erinnere dich daran, dass du es auch bist. Und vergiss nicht, dass ich beinahe an diesem Leben zerbrochen wäre. Es ist kein Zeichen von Schwäche, eine Zeit lang scheinbar sehr schwach zu sein.

Und dann verrate ich dir noch eins: Ich bin gar nicht so leuchtend stark wie ich vielleicht erscheine. Nicht in dem Sinne, dass ich immer weiß, wo es lang geht. Nicht in dem Sinne, dass ich nie mehr (ver-)zweifele. Ich weiß nämlich in Wahrheit auch überhaupt nicht wie das geht mit dem Leben und so. Ich probiere es nur einfach jeden Tag aufs Neue aus, indem ich es lebe.

2 Gedanken zu „„Du bist eine so starke Frau““

  1. Ich liebe alle deine Texte, liebe Silke! Dieser hier hat mich heute ganz besonders berührt. Ich finde ihn für uns alle ganz wichtig – egal ob wir trauern oder mit anderen Schwierigkeiten kämpfen und andere Gefühle auf uns einstürmen, die wir lieber nicht hätten.
    Ich danke dir sehr für deine wunderbaren Worte und deinen offenen Einblick in deinen Weg! <3

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  2. Ich finde das mit der Stärke ist eine echt kniffelige Sache. Tatsächlich habe ich eine tiefe Abneigung gegen dieses Wort im Zusammenhang mit Trauer entwickelt. Stärke ist für mich immer etwas Aktives, ein „ich will es so, also strenge ich mich an“. Wenn mich nun Menschen in meiner Trauer als „stark“ betiteln, dann weise ich das in großen Gesten zurück. Denn was mache ich denn schon? Ich halte es aus, nicht mehr und nicht weniger. Ich wachse nicht daran oder werde weiser. Ich verfolge kein Ziel. Ich überlebe (wobei es sich manchmal eher wie ein Dahinvegetieren anfühlt).
    Ja, ich habe durch den Tod all meine Unschuld und Naivität verloren. Ich, und viele andere Trauernde, kennen nun eine Wahrheit, die nicht jeder kennt. Aber das bringt mich nicht zur Erleuchtung und macht mich auf keinen Fall stärker. Es ist lieb gemeint, mich als stark zu bezeichnen, aber es glorifiziert meine Trauer und das finde ich einfach nur grässlich.

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