Ich weiß es wirklich nicht. Wie es geht. Das Leben. So gerne würde ich hier stehen und es wissen. Ich würde dir gerne sagen, dass irgendwann alles klar ist. Alles im Frieden, ein großer klarer See, der durch nichts mehr aufgewühlt werden kann. Ich habe gehört, das sei der Zustand, wenn man erleuchtet ist. Ich habe auch gehört, wenn dieser Zustand dauerhaft anhält, dann sterben wir kurz darauf. Und doch, ich wäre gerne immer stark. Klar und stark. Für mich, für dich, für alle. Aber ich bin es nicht. Ich bin stark, ja. Manchmal zu stark. Aber ich bin auch schwach. Manche Dinge sehe ich klarer als früher. Und manchmal ist auch alles trüb, verschwunden im dichten Nebel. Ich fühle mich mal so mal so. Und manchmal bin ich alles zugleich. Manchmal weiß ich ganz genau, was jetzt gut für mich wäre, und tue es trotzdem nicht. Und manchmal weiß ich einfach gar nichts. So stehe ich hier mit dir in diesem Leben und kann dir nur meine Hand reichen und sagen: Ich weiß es auch nicht, ich habe keine Gebrauchsanweisung für das Leben, aber wir können versuchen, es gemeinsam herauszufinden. Immer wieder aufs Neue.
Es gibt Tage, da komme ich mir wie eine große Verräterin vor. Ich schreibe davon, dass es wieder gut werden kann, dass die Liebe weiter fließt, dass ich heute das Leben liebe. Und es stimmt. Ich liebe das Leben. In ganz vielen Momenten bin ich erfüllt von Liebe. Manchmal habe ich Angst überzulaufen und weiß gar nicht wohin damit. Und dann ist da eben auch die andere Seite. Im Schatten verborgen. Diese Seite sagt, ich bin eine Verräterin. Weil ich darüber schreibe, dass das Leben wieder leicht werden kann. Und dann ist es auch für mich manchmal so schwer. Dann habe auch ich meinen Platz darin noch nicht ganz gefunden. Dann fühle auch ich mich kraftlos, verlassen, verloren. Schwach. Dann sehe ich mich um in meinem Zimmer und frage mich: Würden diese Menschen deinen Blog und dein Buch lesen und dir all diese liebevollen Worte schreiben, wenn sie sehen könnten, in welchem Chaos du lebst? Wenn sie wüssten, dass du auch nicht weißt, wie das alles geht? Dass du auch auf der Suche bist, auch auf dem Weg und noch nirgends angekommen? Vielleicht den ein oder anderen Schritt gegangen, ja. Aber angekommen, nein.
Doch wann kommen wir eigentlich an im Leben? Hört das Wachstum denn jemals auf? Hören die Herausforderungen auf? Ist nicht genau das Leben? Sind wir nicht genau dafür hier? Um all das zu erfahren? Voll zu leben, immer wieder tief einzutauchen, immer weiter durch all die Schichten unseres Selbst? Nun, ich weiß nicht, ob wir wirklich dafür hier sind. Ich weiß nur, dass es sich für mich so anfühlt. Und das ist doch alles, was ich habe. Mein Gefühl. Mein Gefühl, auf das ich mich verlasse, in das ich mich immer wieder hineinfallen lasse. Mein Gefühl sagt mir, dass es dort entlang geht. Mein Verstand äußert seine Zweifel, aber mein Gefühl ist längst zwei Schritte weiter. Und der Verstand fragt sich, wieso ich mir das alles eigentlich antue.
Viellicht wäre es ein leichteres Leben ohne diese Tiefe. Ohne dieses intensive Fühlen. Ohne die Auseinandersetzung mit mir selbst, mit meinen Schatten, mit meinem Sein. Vielleicht wäre es leichter, wenn ich nicht gesehen hätte. Wenn ich dem Tod nicht so nah begegnet wäre. Wenn ich weiter mit halb geschlossenen Augen mitlaufen würde. Aber ich möchte nicht zurück. Ich möchte nicht tauschen. Julians Tod hat mir einen ganz neuen Weg eröffnet. Den Weg zu mir selbst. Der ist manchmal sehr steil und sehr steinig. Manchmal denke ich, ich kann keinen Schritt mehr weitergehen. Dann setze ich mich hin. Verweile. Warte ab. Eine Stimme in mir meckert, dass ich faul und unfähig bin, dass ich nicht klarkomme im Leben. Und dann ist da noch diese leise Stimme, die mir zuflüstert: Weiter so. Ja, genau hier geht´s lang. Genau hier geht´s zu dir selbst. Bleib da, alles ist gut. Alles ist immer gut und du wirst gehalten. Lass los, nur dann kannst du getragen werden.
So ist es also. Ich weiß nicht, wie das geht mit dem Leben. Aber ich lebe es trotzdem. Ich schmeiße mich immer wieder ganz tief hinein und schaue, was ich dort finden kann. Und manchmal wehre ich mich erst eine Weile, strampele mich ab und haue in Gedanken ein wenig auf mich drauf. Manchmal kommen all diese Zweifel. Was mache ich hier? Wozu mache ich das alles? Bin ich hier richtig? Was ist die Wahrheit? Ich weiß es nicht. Ich kann nur immer wieder auf´s Neue versuchen, es herauszufinden.
Machst du mit? Kommst du mit auf diese Reise des Lebens, die nicht immer einfach ist, aber doch auch so bereichernd? Ohne zu wissen, was eigentlich das Ziel ist? Ohne zu wissen, wie der nächste Schritt wohl aussehen mag? Magst du mit mir die Augen öffnen, sehen, fühlen, erfahren was da ist? Was da wirklich und wahrhaftig ist? Magst du dich mit mir ins Nichtwissen hinein begeben und entdecken, was es dort zu finden gibt? Wie wäre es, wenn wir einfach alle nicht wissen, wie es geht, und jeden Tag das Wunder des Lebens neu entdecken? Mal wird es sich ganz wundervoll anfühlen, ganz voller Liebe und in Verbundenheit mit allem. Und manchmal, ja manchmal wird es sich auch so anstrengend anfühlen, so getrennt und schwer. Es ist okay. Es gehört dazu. Zum Menschsein. Nur weil es diese schweren Tage gibt, heißt das nicht, dass die leichten Tage damit nichts mehr wert sind. Es darf sowohl leicht als auch schwer sein. Im Nebel des Lebens können wir immer wieder aufs Neue unser Licht anzünden und weitergehen.
Das große Thema dahinter ist wohl das Thema „Verletzlichkeit“. Die wunderbare Brené Brown spricht in diesem Ted Talk davon, warum Verletzlichkeit der Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist. Ich habe das Video schon wirklich oft angesehen und habe jedes Mal wieder Tränen in den Augen, weil es mich so berührt. Auch ihr Buch kann ich sehr empfehlen*:

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Ich danke dir von Herzen für die Wertschätzung meiner Arbeit, Zeit und Liebe, die ich in all das hier fließen lasse ❤
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2 Comments
Liebe Silke,
ich finde mich in deinen Gedanken gerade sehr wieder und habe heute etwas Ähnliches in mein Trauertagebuch geschrieben. Ich glaube, dass wir in der Trauer und der Auseinandersetzung mit dem Tod (und demzufolge mit uns selbst, dem Leben – was auch immer das sein mag) viel sensibler und bewusster sind. Viele grundlegende „Daseins-Fragen“ ploppen da auf und der Verstand arbeitet auf Hochtouren, will Kontrolle, Sicherheit, will Antworten. Und das Bauchgefühl ist verunsichert von all dem Chaos, zumindest meins. Ich versuche trotzdem immer wieder, hinzuhören und zu vertrauen, loszulassen. Aber eigentlich, so denke ich, sind diese ganzen Ambivalenzen, das Auf und Ab, die Fragen und inneren Kämpfe immer (wieder) da. Sie sind nur oft überdeckt, mehr im Hintergrund oder werden verdrängt. In der Trauer fallen quasi die Hüllen und vieles lässt sich nicht mehr überdecken und verdrängen. In dann heißt es eintauchen in die Tiefen, die sich da offenbaren. So empfinde ich das momentan.
Liebe Grüße und danke für’s Teilen deiner Gedanken!
Sarah
Hallo Silke,
unsere Reise des Lebens haben wir schon mehr oder weniger lange begonnen. Das Leben hat uns zurückgeworfen, eigentlich wieder ledig, aber um viele Erfahrungen und schöne Erinnerungen reicher.
An jedem neuen Tag ist jeder Schritt des Tages, ein Schritt in Neuland. Jedes Mal vor jedem Schritt abschätzen ob einem das jetzt gut tut was man gerade tut, finde ich nicht gut. Dem Gefühl vertrauen und dann beurteilen ob das jetzt gut war, finde ich viel besser.
Ich bin bisher in meiner Trauer gut damit gefahren.
Ich denke manchmal, dass ich nicht normal bin weil es mir schon oft gut geht. Und dann treffe ich Menschen, die in der gleichen Situation sind, denen es viel schlechter geht und die schon etwas länger verwitwet sind. Ich würde gern helfen, aber das wird wohl nichts.
Ich werde die Reise zurück ins Leben weitergehen und versuchen andere Menschen mitzunehmen. Entdecken wir die Wunder des Lebens neu, ich bin dabei.
Gruß Andreas