Am Mittwoch durften wir wieder einen besonderen Tag im Jahreskreis erleben: Die Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche. Nachdem mit der Wintersonnenwende der Punkt tiefster Dunkelheit überschritten ist, folgt zum Frühlingsbeginn der Tag, an dem Licht und Dunkel gleich viel Raum einnehmen. Von diesem Tag an liegt ein halbes Jahr des Lichts vor uns, in dem die helle Zeit des Tages länger ist als die dunkle.
Das geschieht jedes Jahr, ist also nichts Besonderes. Oder?
Im Laufe der letzten Jahre habe ich gelernt, dass genau diese Ereignisse, die immer wiederkehren, die mir früher immer so belanglos erschienen, so wichtig und besonders sind. Denn sie lehren mich das Leben selbst. Und je mehr ich mit ihnen im Einklang lebe, desto mehr finde ich zu mir. Denn ich bin Teil dessen, Teil dieser Erde und ihrer Zyklen.
Auf Dunkelheit folgt Licht. Und umgekehrt. Beides gehört zum Leben. Ein ewiger Kreislauf eben.
Und so ist es auch mit der Trauer. So zumindest habe ich es erlebt. In tiefster Dunkelheit, wenn alles Schmerz ist und es keinen Ausweg gibt, wird irgendwo im Verborgenen neues Licht geboren. Ein kleiner Funke, ein fast unmerkbarer Lebenswille, eine Idee dessen, wie und vor allem, dass es weitergehen kann. Während es zugleich noch alles zuende ist, die Dunkelheit alles Licht zu überdecken scheint.
Ich habe es erlebt als pures Existieren. Mehr war nicht möglich. Existieren, aber nicht leben. Weiter auf dieser Welt sein, aber nicht wissen wozu und warum. Weiter atmen, essen, schlafen. Und alles darüber hinaus schien unmöglich.
Es konnte nie mehr wieder gut werden, es war vorbei und ich irgendwie mit gestorben. Es gab keine Aussicht auf Glück oder Leichtigkeit. Schmerz, Verzweiflung, Einsamkeit.
Und doch, das Licht war immer auch da. Die Freude, die manchmal für den Moment aufblitzte. Die Dankbarkeit für alles, was war. Die Liebe in meinem Herzen. Die Begegnungen, hier und dort, die mich berührten.
Und irgendwann, fast unbemerkt zunächst, war es auf einmal wie ausgeglichen. Es gab die Dunkelheit noch, aber es gab auch das Licht. Beides war da und ich lernte, dass sich nichts davon gegenseitig ausschließt. Und wenn ich von „dunkel“ schreibe, dann meine ich damit nicht „schlecht“, sondern einfach bloß die Abwesenheit von Licht.
Wie eine Waage, die mit einem Mal im Gleichgewicht war. Und dann in die andere Richtung schwang. Nun ist es mit der Trauer nicht ganz so klar. Die Waage kann auch wieder in die andere Richtung gehen. Aber die Tendenz bleibt, der Funke wird größer und die Erinnerung ist geweckt: Die Erinnerung daran, dass das Leben noch lebendig ist, dass das Licht nie weg war und auch ich wieder ganz lebendig werden kann.
Und vielleicht reicht ein Jahreskreis nicht für die Trauer. Vielleicht ist der erste zarte Frühling noch sehr beschwerlich. Das Licht zu grell, die Freude noch nicht spürbar. Vielleicht braucht die Dunkelheit noch eine Runde oder zwei, bis das Licht dann wirklich zu ertragen ist. Dann dauert der persönliche Winter so lange wie er eben dauert. Egal wie lange, die Natur zeigt uns, dass alles vergänglich ist. Nicht nur die Dinge, die wir so gerne für immer behalten wollen, sondern auch diejenigen, die uns das Leben so schwer machen. Alles vergeht, um immer wieder von Neuem Platz zu machen. Platz für das Leben.