Vor ein paar Tagen habe ich über die beiden Welten geschrieben, die ich als Trauernde erlebe: Die “Alltagswelt” und die “Trauerwelt”. Durch einen Kommentar dazu wurde mir klar: Eine Welt fehlt in dieser Betrachtung. Die dritte Welt. Die Welt, die nicht in dieser Welt ist. Die jenseitige Welt. Seine Welt.
Vor Julians Tod habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Was kommt nach dem Tod? Mein rationales Informatikerhirn war sich relativ sicher: Wahrscheinlich eher nichts. Nach dem Tod ist man eben tot. Das wars, mehr nicht. Die logische Schlussfolgerung schien es da, am besten gar nicht erst darüber nachzudenken und lieber einfach zu leben, bis es eben vorbei sein würde.
Und plötzlich war sie einfach da. Die dritte Welt. Ich habe sie mir nicht ausgedacht, nicht logisch zusammengereimt. Ich habe sie erfühlt und erlebt. In dieser dritten Welt lebt für mich Julian; seine Essenz, sein Bewusstsein, das ist dort. Als ich seinen toten Körper dort liegen sah, wusste ich intuitiv: Das ist nur die Hülle. Die Hülle bleibt hier, aber seine Seele ist woanders. Ich habe für mich erfahren, dass es einen unzerstörbaren Kern in uns gibt, der weiter existiert, egal was passiert.
Zwischen den Welten
Nach seinem Tod stand ich zunächst zwischen diesen Welten. Mein Körper war ganz klar in der sichtbaren Welt hier. Ich habe geatmet, existiert, gelebt. Aber mein Herz, meine Liebe, die reichte plötzlich in die Welt nebenan, in die unsichtbare dritte Welt. Diese Welt, das Jenseits oder wie du es nennen magst, schien auf einmal sehr nah. Gleich nebenan, vielleicht durch eine dünne, unsichtbare Wand getrennt. Und in mir die große Sehnsucht, dort wieder mit Julian vereint zu sein. Nicht alleine zurückgelassen in dieser “realen” Welt, die plötzlich so surreal war. In der ich mich nicht mehr zurechtfinden konnte. In der so eine große Lücke klaffte und in der alles erdrückend sinnlos schien; belanglos und leer. Wollte ich mir das Leben nehmen, gab es Grund zur Sorge, dass ich mich umbringen würde? Nein, den gab es nie. Und doch habe ich mich kaum getraut, diese Gedanken auszusprechen. Es ist nicht leicht zu ertragen, kaum zu verstehen und ich wollte niemanden belasten. Jetzt, mehr als drei Jahre später, wird mir klar, wie wichtig es ist, dass auch dieser Teil der Trauer ausgesprochen werden darf. Vielleicht wird er dich schockieren, vielleicht wirst du das nicht lesen wollen. Doch das ändert nichts daran, dass auch diese Gedanken dazu gehören.
Denn ich war nicht die einzige, der es so ging. Die Sehnsucht nach dem verstorbenen geliebten Menschen ist einfach so groß, der Schmerz immer wieder so unerträglich, dass es wie ein unermesslich großer Kraftakt erscheint, überhaupt hier in dieser Welt, in diesem Körper zu bleiben. In den ersten Monaten, im ersten Jahr, war genau das eine meiner Hauptaufgaben. Existieren. Ein Tag nach dem anderen. Und in kleinen Schritten wieder mit meiner Seele in diesem Körper ankommen. Denn ein Teil meiner Seele war mit hinüber gegangen oder schwebte irgendwo dazwischen. So hat es sich für mich angefühlt.
Nichts mehr wie vorher in der „gewohnten“ Welt
Was sollte sie auch in dieser Welt? Hier hatte sich auf einen Schlag alles verändert. Julian war nicht mehr da. Warum sollte meine Seele nicht bei ihm sein wollen? Was sollte ich hier ohne ihn, wer war ich überhaupt ohne ihn? Meine Welt zerbrach auf einen Schlag und zugleich über Monate hinweg Stück für Stück. Dinge, an die ich bisher geglaubt hatte, schienen nicht mehr wahr zu sein. Wie ich bisher gelebt hatte, schien falsch. Menschen, die bis dahin Freunde zu sein schienen, entfernten sich. Oder ich mich von ihnen. Ich verstand diese Welt nicht mehr. Und manch einer verstand nicht, dass ich nie mehr die alte Silke werden konnte. Oft habe ich als tröstende Worte gehört, dass ich noch jung bin und das ganze Leben noch vor mir liegt. Für mich war genau dieser Gedanke sehr lange eine große Last. So endlos viele Jahre noch vor mir. Ohne Julian, mit diesem Schmerz. Wie sollte ich das ertragen können?
Ganz hier sein und zugleich verbunden bleiben
Erst ganz langsam habe ich verstanden: Ich kann in dieser Welt leben und meine Liebe kann gleichzeitig in seine Welt reichen. Ich habe hier auf dieser Welt noch etwas zu erledigen. Was das ist, weiß ich noch nicht genau. Julian ist jetzt in einer anderen Welt und hat dort seine ganz eigenen Aufgaben. Und gleichzeitig ist er weiter hier. In meinem Herzen, in dem, was er in mir bewegt hat, in den Qualitäten, die ich durch ihn entwickelt habe. Natürlich nicht nur in mir, sondern in all den Menschen, die er im Laufe seines Lebens berührt hat. Manchmal spüre ich ihn ganz nah und manchmal ist er weiter weg. In mir ist ein tiefes Vertrauen entstanden, dass ich nicht in seine Welt gehen muss, um auf eine Art mit ihm verbunden bleiben zu können. Seitdem ich das weiß, kann ich mich dem Leben in dieser Welt wieder neu zuwenden, mich neu finden, meinen Platz in dieser Welt Stück für Stück einnehmen. In meinem Beitrag über das Loslassen habe ich bereits aus einer etwas theoretischeren Sicht über diese bleibende Verbindung geschrieben. Dies ist die bisher persönlichste Variante von mir davon.
Ich möchte dich auch gerne auf den Blog „Zenheim“ von meinem guten Freund Hung aufmerksam machen. Er schreibt nach dem Tod seiner Freundin über seine spirituelle Reise und hat vor ein paar Tagen ebenfalls über seine lebenslange Trauer geschrieben.
Ich sitze hier und weine, … und freue mich gleichzeitig, dass da ein feiner Lichtstreifen am Himmel ist. Dass ich nicht allein bin mit diesen verzweifelten Gedanken. Und dass es irgendwann anders wird.
Danke, liebe Silke!
Ich umarme dich einfach mal virtuell, wenn du das möchtest, liebe Tina. Mehr weiß ich gar nicht zu sagen, außer dass ich mich freue, wenn du den feinen Lichtstreifen wahrnehmen kannst und dir wünsche, dass dein persönlicher Lichtstreifen mit der Zeit immer klarer wird und dich leitet. Es wird anders, ganz bestimmt.
Hm ich würde es nicht die 3. Welt nennen …unsere Vorfahren nannten es die Anderswelt. Dieser Begriff ist für mich persönlich passender.
Du beschreibst es sehr ausführlich, liebe Silke. Ja, es ist persönlich. Trauer ist immer was ganz persönliches und wird immer sehr individuell wahrgenommen. Auch wenn das „Chaos nach dem Tod“ irgendwie durchaus ähnlich ist. Wenn wenn wir unsere Erfahrungen vergleichen um sie irgendwie fassbarer zu machen (und ich glaube darum geht es hier), dann merken wir das es Parallelen gibt.
Ja, Anderswelt ist ein sehr schöner Begriff dafür, finde ich. Mit „3. Welt“ habe ich mich vor allem auf meinen vorherigen Beitrag über die zwei Welten bezogen und eben hiermit eine dritte Welt mit einbezogen. Unsere Vorfahren hatten mit dieser Anderswelt wohl einen ganz natürlichen Umgang und Kontakt.
Liebe Silke,
ja, so wie du es beschreibst, mit diesen kluge,warme und er- (ge) lebte Gedanken/Gefühle.
Auch ich konnte in den ersten Wochen/Monaten nur noch existieren.
Vielmehr als atmen ging oft nicht. Die Welt da draussen war nicht mehr die meine.
So schmerzhaft , ich fasste es in Worte, dieses fast nicht mehr Leben können/wollen.
Diese Brücke zur anderen Welt, zu meinem Mann suchte…
Immer mit der Bemerkung, dass ich mir aber auf keinen Fall etwas antun würde, ich nur den anderen damit erklären wollte, wie groß der Schmerz ist.
Ich habe mit anderen gesprochen, die ihren Partner verloren haben, fast alle kannten diese Gedanken.
Warme Grüße
M.
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Danke dir, liebe Martina, für deine Worte. Ich habe auch das Gefühl, dass sehr viele, die ihren Partner oder einen anderen nahe stehenden Menschen verloren haben, diese Gedanken kennen. Deshalb finde ich es so wichtig, sie auszusprechen. Damit wir alle wissen: wir sind nicht alleine damit.
Welche Reaktionen hast du erlebt, wenn du darüber geredet hast (falls du erzählen möchtest)?
Herzliche Grüße
Silke
Liebe Silke,
in einem anderen Trauerforum hatte ich Deinen Beitrag über das Loslassen bereits kommentiert. Damals waren meine Wahrnehmungen bezüglich meiner Verbindung zu meinem verstorbenen Mann so wie von Dir hier beschrieben, d.h. meine Liebe lebte mit ihm auf seiner jetzigen Daseinsebene. Zwischenzeitlich haben sich meine Empfindungen dazu noch ein wenig geändert: Ich habe jetzt den Eindruck, dass mein unzerstörbarer Teil (meine Seele) nur auf dieser anderen Ebene existiert und dort schon immer beheimatet ist. Mein Leben hier auf der Erde und meine ‚Aufgaben‘, die ich hier zu erledigen habe, kommen mir eher wie Projektionen vor. In Wahrheit war ich in meiner Essenz also nie von meinem Mann getrennt, er ist nur anderswo tätig. Ich möchte betonen, dass ich ebenfalls ein sehr rationaler Mensch bin und spirituelle Theorien bislang vom Verstand her ablehnte, aber mein Fühlen belehrt mich möglicherweise eines Besseren. Ich bin gespannt, ob bei Dir vielleicht irgendwann ähnliche Erfahrungen eintreten werden.
Liebe Silke,
Mir laufen nur so die Tränen. Deine worte lassen etwas Hoffnung in mir aufkommen das es anders werden kann.
Lg josie
Danke dir, liebe Josie, für deinen berührenden Kommentar. Ich umarme dich einfach mal virtuell, wenn du magst.
>>> welche Reaktionen hast du erlebt….? vom 17.7.<<>>ich tue es ja nicht!!
Aber ich will euch damit erklären, wie groß der Schmerz ist.
und auch,dass ich es unserem Sohn nie antun würde.<<.
LG M.
SorrySilke,
da fehlt jetzt der Anfang….
Sie haben mit Erschrecken reagiert, und ich bekam auch die Reaktion, ich wäre doch noch so jung, mein Mann würde das nicht wollenund ich hätte doch noch so viele gute Jahre vor mir.
Wie gesagt, ich wollte damit ja nur erklären, wie groß derSchmerz ist…
und mich hielt,glaube ich, eher der Gedanke hier, dass mein MAnn noch so gern gelebt hätte und nicht durfte und deshalb muss ich bleiben bis zum Wiedersehen… in welcher Form auch immer
Erstmal fällt mir ein, wenn ich die Beiträge hier lese: Ist doch komisch und ein weiterer Grund, LAUT drüber zu sprechen: Auf jeder zweiten Trauerkarte steht: „In unseren Herzen lebst Du weiter!“. Wir machen hier doch nichts anderes, als zu überlegen, wie das tatsächlich geht!
Danke für Euer Vertrauen, ich will Euch auch meine „Welt“ zeigen:
Ich finde, es ist ein schönes Bild mit den verschiedenen Welten. Besonders, weil es offen für weitere Welten ist, die sich noch erschließen mögen.
Und eine gute Hilfe für mich, weil ich das ganze Chaos an Gefühlen, Erlebnissen, Hoffnungen, Enttäuschungen, Verpflichtungen, Zielen und Wegen usw. zuordnen und voneinander trennen kann.
Ich habe Zugang zu allen diesen Welten, wenn ich es zulasse. Ich erlebe die Welten, auch parallel, und lerne immer mehr, sich in ihnen zu beegen zu entscheiden, in weit ich es zulasse, dass die eine Welt die andere beeinflusst. In jeder dieser Welten ist meine Moni ein fester Bestandteil, den ich liebevoll pflegen werde:
In der ersten (Alltagswelt) zum Beispiel durch ihren Nachlass und ihr Grab, Bilder die ich aufstelle oder Gespräche, die ich mit anderen führe. In dieser Alltagswelt erlebe ich persönlich ein Gefühl der Einsamkeit, weil ich leider niemanden in meinem persönlichen Umfeld habe, der mir etwas anderes als ein bisschen Ablenkung geben kann.
In der zweiten Welt (Trauerwelt) als Erinnerungen und wenn ich eine Kerze für sie anzünde und betrachte. Wenn ich für sie ein Gebet spreche und wenn ich weine und verzweifelt bin. Unendlich dankbar bin dafür, dass sie mir in dieser Welt mit ihrer Fürsorge begegnet und mich tröstet. Wenn mich ihr herzliches Lächeln auf einem Foto erreicht. Oder wenn ich spüre, dass sie mir ein aufmunterndes oder ermutigendes Zeichen gibt. Diese Welt erlebe ich meistens allein, manchmal aber auch kommt ein Gefühl der Einsamkeit hinzu.
Die dritte Welt (Beziehungswelt) ist besonders tröstlich. Hier gibt es fast keine Trauer, es ist die Fortsetzung unserer Beziehung, in der wir uns beide weiterentwickeln in der neuen Situation. Die Liebe ermöglicht uns einen Zugang zu dieser Welt, in der wir -das empfinde ich genau wie Silke es oben beschreibt- nur als hauchdünne Trennung. In dieser Welt fühle ich mich weder einsam noch allein.
Ralf
Jetzt will ich mich aber ganz schnell berichtigen: Natürlich gibt es jemanden, der meine „Alltagswelt“ gar nicht so düster aussehen lässt: EUCH!
Ralf