Zwei Welten: Was du für einen trauernden Freund wirklich tun kannst

Zwei Welten in der Trauer

Nach Julians Tod hat sich meine Welt zweigeteilt. Ich nannte die beiden Welten damals “Trauerwelt” und “Alltagswelt”. Zu Beginn meines Trauerwegs habe ich mich fast ausschließlich in meiner “Trauerwelt” aufgehalten. Alles war langsamer, dunkler, schmerzhafter als in der anderen Welt. Der Bezug zu dieser “Alltagswelt”, der Welt in der “die anderen” lebten, war mir kaum möglich. Alles in deren Welt schien belanglos, weit weg und es überforderte mich stark, dass dort alles scheinbar genau so weiterging wie zuvor. Obwohl doch dieser große Riss in meiner Welt entstanden war.

Diese zwei Welten machten es mir sehr schwer, im guten Kontakt mit meinem Umfeld zu bleiben. Ich lebte in einer düsteren Trauerwelt, in der ich ganz alleine und in der es alles andere als schön war. Meine Bekannten lebten in ihrer deutlich angenehmeren “normalen” Welt. Einige von ihnen boten mir an, mich in ihrer Welt zu besuchen, luden mich zu sich oder zu gemeinsamen Aktivitäten ein, um mich abzulenken. Meistens funktionierte das für mich – gerade am Anfang – allerdings nicht. Nur ganz wenige waren dazu bereit, mich tatsächlich in meiner Welt zu besuchen. Sich zu mir zu setzen und für eine Weile die düstere der beiden Welten mit mir auszuhalten. Ohne sie gleich wieder verlassen zu wollen und auch ohne mich dort herausreißen zu wollen.

Besuche den Trauernden in seiner Welt

Für mich trifft es dieses Bild der zwei Welten ziemlich gut. Die Angebote, etwas gemeinsam zu unternehmen und wieder rauszugehen, sind ganz wichtig und ich möchte sie hier gar nicht schlecht reden. Und dennoch ist vielleicht das wertvollste, was wir einem Trauernden geben können, der Besuch in dessen Welt. Den Schmerz und die Traurigkeit für eine Weile mit ihm auszuhalten ist in meinen Augen das schwierigste und gleichzeitig beste, was man für denjenigen tun kann. Denn eigentlich kann man nichts tun und genau das macht es so schwer. Schließlich wollen wir doch so gerne helfen. Wenn es dem Freund oder der Freundin schlecht geht, dann möchten wir sie oder ihn doch aufheitern. Nur ist das nach dem Tod eines nahe stehenden Menschen oft gar nicht möglich.

Trauer braucht Zeit. Sie ist ein sehr wichtiger Prozess und zugleich eine sehr wertvolle Fähigkeit, die jeder Mensch besitzt. Anstatt dagegen anzukämpfen, geht es in meinen Augen vor allem darum, die Trauer anzunehmen und auch den Schmerz zuzulassen. Das ist wahnsinnig schwer. Wenn dann von außen vor allem Signale kommen in der Art “Wir wünschen uns, dass es dir schnell wieder gut geht, geh doch mal wieder raus, dein Mann hätte doch auch nicht gewollt, dass du so lange traurig bist”, macht es das leider nicht einfacher. Zwar sind diese Wünsche natürlich gut gemeint, allerdings ist der Trauernde anfangs einfach nicht in der Lage, diese zu erfüllen. Vor allem in der ersten Zeit – und die kann viele Monate dauern – geht es vor allem darum, einfach nur da zu sein, ohne etwas verändern zu wollen.

Wie erlebst du das? Geht es dir ähnlich wie mir oder vielleicht ganz anders?

Foto: Olli Henze

   

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4 Antworten

  1. Liebe Silke,

    danke für diesen wichtigen und beruhigenden Blogeintrag. Ich habe mich hier vollkommen wieder gefunden und wenn es mir zu schwer fällt, Freunden oder der Familie eine Antwort auf die Frage „Wir geht es dir?“, zu geben, verweise ich sie gerne auf diesen Eintrag. Es ist zwei Monate her, seit ich meinen Freund nach einer fantastischen 8-jährigen Beziehung verloren habe und die beiden Welten sind nur in kleinen Dosen zu ertragen. Manchmal wünscht man sich, einfach hinterher gehen zu dürfen, in die dritte Welt. Da, wo er jetzt auch ist. Dort gibt es keine Fragen mehr, keinen Schmerz, keine Angst und kein Unverständnis. Und kaum habe ich das geschrieben, denke ich: „Das musst Du wieder löschen. Wer immer das liest, halt Dich für depressiv oder suizidgefährdet“. Aber das bin ich nicht. Ich bin einfach nur abgrundtief und unbeschreiblich traurig.
    Aber ich bin hier. Mache weiter. Und dank Deines Blogs muss ich keine eigenen Worte für die Alltagswelt finden, um ungefähr zu beschreiben, wie es wirklich in mir aussieht. Eine Freundin sagte mir schon: „Ich komme Dich bald wieder in Deiner Welt besuchen.“ Danke dafür!

    1. Liebe Tina,
      danke dir vielmals für deinen Kommentar. Deine Worte berühren mich sehr. Dein Freund ist erst vor 2 Monaten gestorben, das ist so eine kurze Zeit. Kein Wunder, dass du keine Antwort auf die Frage wie es dir geht hast. Die habe ich bis heute meistens nicht, weil weder ein einfaches „gut“, noch ein einfaches „schlecht“ ausreicht, um meine Gefühle zu beschreiben. Es tut mir sehr leid, dass du das gerade durchmachen musst.
      Es berührt und freut mich sehr, dass du in meinem Beitrag etwas Beruhigung und auch Worte, wo du selbst keine hast, gefunden hast. Es macht mich sehr dankbar, so etwas lesen zu dürfen.
      Ich kann deinen Gedanken, bezüglich dem Wunsch hinterherzugehen sehr gut verstehen. Danke für dein Vertrauen, danke, dass du ihn nicht gelöscht hast. Auch das ist Teil der Trauer und darf gesagt werden. Mich haben deine Worte direkt zu einem weiteren Beitrag dazu aus meiner Sicht inspiriert. Wenn du magst, kannst du ihn dir ja mal anschauen: https://in-lauter-trauer.de/die-dritte-welt-ein-teil-von-mir-ist-bei-dir
      Ich wünsche dir ganz viel Kraft und dass deine Freundin öfter vorbeischaut, in deiner Welt.
      Liebe Grüße
      Silke

  2. Liebe Silke
    Ich bin durch deinen Kommentar bei Kaiserinnenreich auf deinen Blog gestossen und lese mich später gerne durch. Dein Beitrag spricht mir aus dem Herzen. Ich habe als zwölfjährige meinen geliebten Vater verloren und mich genauso gefühlt. Vor zwei Jahren hat meine Tante ihren Mann (meinen geliebten Onkel) verloren. Seither begleite ich sie und ihre beiden Söhne, einer davon schwerstbehindert, in ihrer Trauer.
    Genauso wie du es beschrieben hast, habe ich die Trauerbegleitung erlebt und gelebt. Dasein. Zuhören. In den Arm nehmen. Über den verstorbenen Reden „das hätte ihm jetzt auch gefallen/geschmeckt ect“ oder „das hätte ihn sicher auch geärgert“. Die Situation nicht schönreden. Nur dasein. Und irgendwann… Verschmelzen die beiden Welten peux-à-peux wieder zu zusammen.
    Die Erinnerungen und die Trauer begleiten uns ein Leben lang. Aber irgendwann wird es zum Glück etwas leichter.
    Liebe Grüsse und nur das Beste für dich
    Paula

    1. Liebe Paula,
      schön, dass du hierher gefunden hast. Danke dir für deinen Kommentar.
      Es tut mir sehr leid zu lesen, dass du deinen geliebten Vater so früh verloren hast.
      Es berührt und freut mich sehr, wie du deine Tante in ihrer Trauer nun begleitest und einfach nur für sie da bist. Das ist ein ganz großes Geschenk, was du ihr da machst.
      Ich stimme dir zu, irgendwann können die beiden Welten Stück für Stück wieder miteinander verschmelzen. Ich konnte dabei einiges an bereichernden Dingen und Erfahrungen aus der „Trauerwelt“ mitnehmen und bin heute sehr dankbar dafür.
      Liebe Grüße zurück und für dich ebenfalls alles Gute
      Silke

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