Trauerwellen – Warum wird es schlechter statt besser?

Eine der häufigsten Fragen, die mir in der Begegnung mit Trauernden gestellt wird, ist warum es mit der Zeit schlechter statt besser wird. Wie es sein kann, dass es doch erst einmal besser wurde, dass es eigentlich ganz erträglich war, nur um dann auf einmal wieder viel schlimmer zu sein als zuvor?

Es ist schwer auszuhalten, wenn es ohne sichtbaren Grund auf einmal wieder bergab geht. Der Verstand erzählt uns dann, dass wir es eben nicht hinbekommen, dass wir irgendetwas falsch machen, dass wir es doch eigentlich schaffen müssten, stetig bergauf zu gehen. Vielleicht auch, dass es eben gar nicht möglich ist und einfach für immer so bleiben wird. Mal ein paar gute Tage, aber im Grunde für immer der bleibende Schmerz.

Ich kann dir sagen: Der Verstand weiß nicht, was er da sagt. Er hat gelernt, dass alle Prozesse linear verlaufen. Wenn wir krank sind und sich die ersten Symptome bessern, dann wird es von da ab stetig besser bis wir wieder gesund sind. Das stimmt meistens für leichtere Krankheiten. Wir lernen auch, dass Gewinne immer größer werden müssen, dass wir jedes Jahr mehr Erfolg oder mehr Glück haben sollen. Das wird uns so erzählt. Basierend auf diesem gelernten Wissen projiziert unser Verstand vom jetzigen Moment in die Zukunft. Da es im jetzigen Moment gerade bergab geht, wird es auch weiterhin so sein. Linear eben.

Doch das Leben verläuft nicht linear. Gefühle sind nicht linear. Heilungsprozesse sind häufig zyklischer Natur. Das Leben selbst zeigt sich uns immer wieder in Zyklen. Insbesondere wir Frauen tragen dieses Wissen in uns. Und so verläuft auch die Trauer in zyklischen Wellen. Es lässt sich nicht vorhersagen, wann die nächste größere Welle kommt. Wie tief sie uns dieses Mal in den Abgrund wirft. Das kann sich beängstigend anfühlen. Und doch kann es auch erleichternd sein zu wissen: Es ist normal. Ich bin nicht falsch, wenn meine Gefühle und Heilungsprozess nicht linear verlaufen. Ich bin ein lebendiges Wesen, das seinen eigenen Rhythmus hat. Ein Rhythmus, den niemand genau vorhersagen kann.

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass es leichter wird wenn wir uns dem, was da kommt, so wenig wie möglich widersetzen. Das wiederum ist ganz schön schwer. Wer möchte schon schlechte Tage haben, tief fallen, Schmerzen aushalten? Manchmal muss es erst richtig schlimm werden, um am Ende tatsächlich einen Zustand von Frieden zu erreichen.

Was hilft dir persönlich dabei, die tiefen inneren Täler zu durchschreiten, die Schmerzen zu ertragen? Und welche Erfahrung hast du gemacht mit den Wellen, wenn sie kommen und wieder gehen? Ich freue mich auf Kommentare von euch.

3 Gedanken zu „Trauerwellen – Warum wird es schlechter statt besser?“

  1. Liebe Silke und lieber Leser,
    neben dem Verlust zu „er“- tragen finde ich das Nehmen der Wellen fast am Schlimmsten. Gerade weil der Verstand das so ganz anders sieht und wie ich finde du das sehr gut erklärt hast, Silke.
    Nicht ankämpfen, sich spüren und in der Trauer bleiben: wie geht das im Alltag, in dem „normalen Wahnsinn“, der nach kurzer Zeit wieder auf uns wartet, gerade wenn es um Job und Familie geht?!
    Das braucht Mut, Zuversicht und ganz viel Vertrauen. Der Gedanke mit Trauer nicht perfekt umgehen zu müssen, hilft mir gerade sehr, etwas mit sich weich sein, weniger streng. Ein wenig Ruhe mit sich…

    Alles Gute, Barbara

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  2. Liebe Silke,
    danke sehr für deinen Beitrag, für die Ermutigung im Trauern nicht „gut performen“ zu müssen. Mich packt die Traurigkeit oft überraschend, in Wellen und ohne Vorankündigung. Mich überrollt die Trauer, ohne das ich ein Rezept dafür hätte, mich zu trösten. Ich will das auch garnicht. Ich denke, starke Trauer gehört immer dazu, wenn jemand gegangen ist, den man sehr liebt. Es ist wohl kompromisslos. Und dabei ohne „Richtlinie“. Und ich vertraue darauf, dass die Intensität der Wellen und auch diese Penetranz der traurigen Gedanken im Laufe der Zeit abnimmt.
    Trost oder Versuche zu trösten würden mich aber jetzt, in der jüngsten Zeit der Trauer, von der Bewältigung meiner Gefühle ablenken.
    Meine liebe Mutter ist schrecklich verstorben, und das einzige, was ich jetzt sein kann, ist eben immer wieder sehr sehr traurig zu sein.

    Lieben Gruß, Niki

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  3. Liebe Silke,
    ich habe viele Texte von dir gelesen seit mein Mann im Juni starb. Darum überlasse ich es dir wo du diesen Beitrag von mir eingruppierst.
    Zuerst möchte ich mich bei dir bedanken. Das was du schreibst hat mir immer sehr geholfen wenn ich mal wieder Fragen stellte. Vorallem eine Frage, WARUM! Habe ich alles richtig gemacht, hätte ich es eher wissen müssen, wo ist er jetzt, ist er glücklich? Diese Traurigkeit überfällt mich immer wieder einfach so aus heiterem Himmel, genau wie die Vorwürfe die ich mir immer wieder mache. Dann tauen die Fragen in meinem Kopf auf was ich hätte besser machen können. Irgendwie gebe ich mir immer die Schuld an seinem Tot obwohl rein medizinisch gesehen ich nichts dafür kann. Mein Mann hatte Lungenkrebs was wir allerdings nicht wussten. Es war aber auch nicht so das mein Mann kern gesund war. Nein er war krank aber wie ich/wir dachten stabil. Und dann ging alles so schnell. Gelbsucht, Leberversagen nebenbei die Diagnose Lungenkrebs und Nierenkrebs. Und immer wieder die Ärzte die sagten wir müssen diesen und jenen Test/Untersuchung noch machen, obwohl sie genau wussten das nichts mehr helfen wird.
    Ich war von der Einlieferung ins Krankenhaus bis zu seinem Tot Tag und Nacht bei ihm. Habe alles versucht das es ihm gut geht. Und trotzdem war es nicht genug und ich falle täglich tiefer krabbel wieder raus aus dem Loch nur um in ein noch tieferes zu fallen.
    Mein Hauptproblem ist wohl das mein Verstand und mein Gefühl gleichmäßig stark sind. Der Verstand schreit nach Beweisen und behauptet das ich verrückt werde und mein Gefühl sagt ständig das der Verstand die klappe halten soll da es weis das mein Mann noch da ist wenn auch anders.

    Inge

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