Wenn du an deinen lieben Verstorbenen denkst, spürst du dann, dass es ihm gut geht dort wo er ist? Und bist du dankbar, dass ihr diese gemeinsame Zeit hattet? Oder vermisst du ihn ganz schrecklich und haderst mit dem Leben oder Gott, warum dir, warum ausgerechnet euch das alles angetan wird? Oder vielleicht beides gleichzeitig?
Wir leben in einer Welt, in der wir Menschen meist klar einordnen wollen. Eine Sache ist entweder so oder so. Wenn du also sagst, dass du dankbar bist, kannst du nicht im nächsten Moment auch verzweifelt sein. Du musst dich schon entscheiden, entweder oder. Sonst wissen die Menschen um dich herum ja gar nicht, was sie erwartet. Dieses ständige Hin und Her macht dich doch ganz unglaubwürdig. Und mich macht es ganz unruhig, das so zu schreiben. Weil es doch einfach nicht stimmt. Wir sind keine Maschinen, die entweder an oder aus, in diesem oder jenem Zustand sind. Wir sind Menschen. Wesen mit Gefühlen, in denen oft so viele Stimmen gleichzeitig da sind. So viele Wahrnehmungen finden gleichzeitig statt, im Innen wie im Außen. Und Gefühle kommen und gehen nun einmal wie sie sind und überfluten uns gerade in der Trauer manchmal alle gleichzeitig.
Immer wieder erlebe ich, dass es ein „Sowohl als auch“ ist. Es kann alles gut sein so wie es ist und sich gleichzeitig völlig falsch, traurig oder schrecklich anfühlen. Ich kann in tiefer Verzweiflung zusammenbrechen und gleichzeitig mitten darin wieder neue Kraft oder ein verborgenes Geschenk finden. Ein Teil von mir kann so wütend auf jemanden sein während der andere ihm gleichzeitig weiterhin mit ganz viel Liebe begegnet. Ich muss mich nicht entscheiden, ich kann einfach beides fühlen und ausdrücken.
All das bedeutet Lebendigkeit für mich. Ich möchte mich nicht festlegen, nicht einordnen in dies oder jenes. Ich möchte sein, wie ich bin, genau in diesem Moment. Und im nächsten vielleicht schon wieder anders. Ich möchte fließen mit dem Leben anstatt mich dagegen zu stemmen.
Wenn du das nächste Mal darüber nachdenkst, wie etwas denn nun ist, dann wünsche ich dir, dass du dich daran erinnerst, dass es immer ein „Sowohl als auch“ sein kann. Lass dir von niemandem einreden, dass du so oder so sein sollst. Du bist wundervoll so wie du bist in all deiner Vielfalt und Unberechenbarkeit. Gefühle kann man nicht planen, nur fühlen.
Liebe Silke,
danke für diesen Eintrag! Danke!! Genauso das ist mein derzeitiger Zustand, nach fast 7 Monaten, die ich nun alleine in dieser völlig verworrenen Welt umherschwirre. Ich denke ständig darüber nach, was die Menschen um mich herum wohl denken mögen, ob ich nun komplett verrückt werde. Aber so ist es nun einmal. Ich bin gleichzeitig glücklich und traurig und beides im selben Moment. Ich glaube, an so etwas hätte ich in meinem alten Leben auch nie geglaubt. Man kann es erst verstehen, wenn man es selbst erlebt.
Und so sehr wünschte ich mir, ich könnte es nicht verstehen und müsste es nicht fühlen und würde einfach wieder mein altes, einfaches Leben zurück, indem auch ich immer nur in eine Richtung gedacht habe, weil ich es nicht anders musste, weil einfach alles normal war. Weil es ein Leben war, indem man nicht über solche Themen nachdenken musste oder nicht wollte.
Ich fühle mich jetzt etwas besser und verstanden. Das tut gut. Danke liebe Silke.
Liebe Grüße, Sandra
Ein wundervoller Text, der aus meinem Herzen spricht. Als ich auf Reha war fragte mich in der Runde die Therapeutin wie es mir ginge. Ich sagte ich sei traurig weil einer die Reha heute verlassen habe, aber so dankbar ihn kennengelernt zu haben und ich freue mich grad voll weil ich endlich den Namen meiner Webseite gefunden habe. Also vieles gleichzeitig in mir. Wie so oft. Für mich vollkommen normal. Sie sagte, dass es erstens eine besondere Gabe sei so gut fühlen zu können was gerade da ist, und sich außerdem zu trauen offen alles nebeneinander stehen zu lassen weil genau das ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist. Das fand ich erstaunlich und ein bisschen war ich stolz. Denn nur die Trauer hat mich das gelehrt. Vorher gab es auch nur ein entweder oder. Danke, Katy
Ich war sehr froh, als ich diesen Text hier gefunden habe. seit längerem beschäftige ich mich im Bereich der Kommunikation und der Politik mit dem wichtigen sowohl als auch. Ich habe irgendwann mal gelesen dass das 20 Jahrhundert das Jahrhundert des Entweder-Oder war und das 21 Jahrhundert das Jahrhundert des sowohl-als-auch werden muss. Sie haben es in ihrem Text so erzählt, wie es glaube ich jeder Mensch immer wieder erlebt. Und sich wegen dieser Zerrissenheit schämt, anstatt dass wir lernen es zu bejahen und anzuerkennen als eine Widerspiegelung des Lebens. Ja sowohl als auch. Danke!