Schuld ist ein mächtiges Gefühl oder vielmehr ein Gedankenkonstrukt. Der Gedanke, auf gewisse Art Schuld am Tod zu sein, begleitet viele Menschen in der Trauer. Es gehört fast schon dazu – nicht immer, aber doch häufig. Ich hätte es früher merken müssen, dass etwas nicht stimmt. Ich hätte einen besseren Arzt finden müssen. Ich hätte schneller handeln sollen. Irgendwo hätte es mit Sicherheit noch irgendeine Möglichkeit gegeben, diesen Tod zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Und ich hätte während seiner Krankheit, unserer Beziehung, unserer gemeinsamen Zeit anders mit ihm oder ihr umgehen sollen. Habe ich es ihm nicht schwerer gemacht als es eh schon war? Hätte ich nicht wenigstens dafür sorgen müssen, dass ihr Leben so schön wie möglich ist, wenn es schon nur so kurz war?
Vielleicht kennst du diese oder ähnliche Gedanken, begleitet die Schuld auch dich gerade in deiner Trauer. Ich weiß, es ist schwer, darüber zu sprechen. Oft sind Schuld und Scham so nah miteinander verknüpft. Was denken die anderen von uns, wenn sie von diesen dunklen Seiten erfahren? Vielleicht sprichst du auch darüber und erhältst immer wieder als Reaktion darauf logische Argumente gegen deine Schuld. Es kann ja für alle um uns herum völlig offensichtlich sein, dass wir keine reale Schuld haben, für einen Teil von uns kann es dennoch unumstößliche Realität sein. Sie lässt sich nicht so einfach ausreden. Wenn sie nun also sowieso da ist, vielleicht ist es dann an der Zeit, sie einmal genauer zu betrachten. Wofür steht sie und wie können wir mit ihr umgehen? Wofür ist die Schuld da in der Trauer? Welchen Sinn oder welche Aufgabe kann sie haben, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist?
Schuld als Verbindung zum Verstorbenen
In meiner eigenen Auseinandersetzung mit Schuld in der Trauer sind mir zwei Aspekte begegnet, die mir persönlich noch einmal einen völlig neuen Blick darauf gewährt und mir damit sehr geholfen haben. Ich möchte sie mit dir teilen, nicht weil ich glaube, dass sie genau so auch bei dir wahr sind, sondern um dich dazu einzuladen, selbst einmal hinzusehen. Vielleicht findest du dich in diesen beiden Aspekten wieder, vielleicht entdeckst du auch ganz neue für dich.
Ein Aspekt kann sein, dass Schuld eine gewisse Art von Verbindung herstellt zum Verstorbenen. Es ist keine besonders schöne Verbindung und ich suche sie mir sicher nicht bewusst aus, aber eine blöde Verbindung ist immer noch besser als gar keine. Denn das ist es doch, was wir wollen: In Verbindung bleiben. Und das ist es auch, was die Trauer möchte. Eine bleibende Verbindung zum Verstorbenen bewahren. Wir möchten ihn ja nicht noch ein zweites Mal verlieren. Seinen Körper hergeben zu müssen und nie mehr lebendig wiederzusehen ist bereits schlimm genug. Schuld kann als eine Art von Verbindung dienen. Ich bin schuld an deinem Tod, also ist da auch eine Verknüpfung zwischen uns. Was wäre, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, um auch über den Tod hinaus mit deinem geliebten Menschen verbunden zu bleiben? Fällt dir da etwas ein?
Schuld ist besser als Ohnmacht
Ein weiterer Aspekt ist die Hilflosigkeit, die wir oft im Angesicht des Todes erleben. Hilflos und ohnmächtig daneben stehen, während ein geliebter Mensch stirbt, ist wohl mit das Unerträglichste, was wir erfahren können. Dieses Gefühl ist kaum auszuhalten, sind wir es doch gewohnt, ansonsten im Leben immer etwas tun zu können. Hier kann die Schuld den – unbewussten – Zweck haben, uns zu schützen. In diesem Fall vor dem Gefühl der Hilflosigkeit. Denn wenn ich Schuld am Tod habe, dann bleibe ich auf gewisse Art handlungsfähig und stehe nicht bloß machtlos daneben. Es ist eine Art, einen Hauch von Kontrolle zu bewahren – wenn auch zu einem recht hohen Preis. Wenn du dich darin wieder erkennst, was könnte es dann geben, das dich unterstützt, in deinem Tempo diese unfassbare Ohnmacht fühlbar zu machen?
Das Thema Schuld ist ein sehr umfassendes. So sind die beiden genannten Aspekte sicherlich nur ein Ausschnitt dessen, was darüber gesagt werden könnte. Wenn dich Schuldgefühle quälen, kann es auch hilfreich sein, dir Unterstützung im Umgang damit zu suchen. Am besten bei jemandem, der sich mit Trauer auskennt und weiß, was Schuld in diesem Zusammenhang bedeutet. Jemand, der dich darin unterstützt, hinter die Schuld zu schauen und zu verstehen, wofür sie bei dir steht. Jemand, der dann gemeinsam mit dir schaut, was es braucht, dass deine Schuld Schritt für Schritt gehen kann.
Ich persönlich war nach Julians Tod lange Zeit sehr fest davon überzeugt, zumindest mit schuld daran gewesen zu sein. Ich war dabei als er starb, also wäre es meine Aufgabe gewesen, es zu verhindern, so logisch war das für meinen Verstand. Hinzu kamen innere Schuldvorwürfe, was ich alles in unserer Beziehung nicht richtig gemacht hatte. Und schließlich fühlte ich mich sogar schuldig, weil ich hörte, dass er aus buddhistischer Sicht zu schnell verbrannt worden war. Ich war also zugleich schuld daran, dass seine letzten vier Jahre vor dem Tod anstrengend waren mit mir als Freundin, ich war schuld an seinem Tod selbst und auch noch schuld daran, dass er nach dem Tod nicht ordentlich zuende sterben und den Körper verlassen konnte, weil dieser wegen mir zu schnell verbrannt worden war.
Damals hätten tausend Ärzte kommen und mir erklären können, dass ich nichts hätte tun können. Niemand konnte mir meine Schuld so einfach ausreden. Erst als ich mich mit therapeutischer Hilfe dieser absoluten Hilflosigkeit und Ohnmacht im Moment seines Todes annäherte und schließlich stellte, konnte auch meine Schuld immer weiter in den Hintergrund gehen und schließlich ganz verschwinden.
Wie ist es bei dir, was hast du auf deinem Trauerweg über Schuld gelernt? Gibt es noch Aspekte, die ich hier nicht aufgeführt habe? Und was hat dir dabei geholfen, mit deinen Schuldgefühlen umzugehen? Ich freue mich, von dir zu lesen.
Liebe Silke,
ich spüre große Erleichterung, dass die „Schuld-Frage“ für mich nun schon vor einer ganzen Weile zur Ruhe gekommen ist. Das hat mich eine Zeit lang sehr gequält.
Unter der Überschrift „Schuld statt Ohnmacht“ finde ich mich wieder. Ich konnte es partout nicht aushalten, dass etwas „einfach so“ komplett sinnlos passieren können soll… Hätte-hätte-Fahrradkette-Gedanken haben mir da vielleicht Halt gegeben (äh, fühlte sich zu der Zeit aber nicht nach Halt an ;0).
Meine Trauerbegleiterin hat mir sehr geholfen beim Reflektieren der nicht-Schuld. Das Hineinspüren hin zu einem „Ich habe zu jeder Zeit das mir zu der Zeit Bestmögliche getan.“ hat mir inneren Frieden verschafft.
Sicher hilft es auch einfach, sich durch das Stellen der Frage nach der Schuld nach und nach zu vergewissern, dass es einfach nur die Antwort gibt: „Nein, du konntest nichts tun, um das zu verhindern.“
Das braucht aber Zeit und Kraft, denke ich (und bestenfalls eine Stütze / Begleitung von außen)…
Herzlich, Anja
Danke dir, liebe Anja, für deinen Kommentar. Ja, wie eigentlich irgendwie alles, braucht es Zeit und Kraft. Es ist ja echt erstmal einfach so unglaublich unwahrscheinlich, dass da einfach wer stirbt und auch noch wer, den wir so lieb haben.
Ganz liebe Grüße
Silke
Liebe Silke,
was für ein ungemein wichtiger Artikel, danke! Denn bei diesem Gefühl herrscht doch das meiste „wegreden“ oder „übergehen“ mit pauschalisierten Sätzen durch seine Umwelt.
Ende des letzten Jahres habe ich auch einen Artikel dazu geschrieben, vejcht hast du Lust ihn zu lesen?
https://cirangle.wordpress.com/2018/11/03/trauer-und-schuld/
Viele Grüße aus Dresden 🙂