Sieben Jahre

Heute vor sieben Jahren ist mein Leben ein anderes geworden. Es war der Tag, an dem Julian von einem Moment auf den anderen neben mir umkippte und starb. Heute jährt sich also sein Todestag zum siebten Mal.

Sieben Jahre.

Sieben ist eine bedeutsame Zahl, irgendwie magisch. Wie ein Zyklus, der sich heute vollendet. Ein Zyklus voller Schmerz und Dunkelheit, Verlusten, Ängsten und Nichtwissen darüber, wer ich bin und wie mein Leben sich gestalten wird. Ein Zyklus voller Liebe, berührender Begegnungen, tiefer Veränderung, Wandel und einer neuen Begegnung mit mir selbst. Mit großen Schritten nach vorne genauso wie tiefen Stürzen zurück. Mit Abgründen, so tief, dass es mir unmöglich schien, sie jemals durchschreiten und überleben zu können.

Und doch. Hier bin ich. Ich habe überlebt.

Ich würde nicht sagen, dass es mich stärker gemacht hat, sondern dass ich die Stärke und Kraft, die immer schon da war, in mir entdecken durfte. Ich durfte lernen, sie für mich zu nutzen. Und ich durfte lernen, dass es einen Ort in mir gibt, der immer heil ist. Dass ich in der Tiefe niemals wirklich verletzt werden kann, auch wenn es oben drüber noch so sehr stürmt.

Zugleich durfte ich meiner schwachen Seite begegnen, meiner großen Verletzlichkeit. Ich durfte lernen, dass ich auch damit sein darf, wie ich vor allem bei mir selbst bleiben kann, wenn keine Kraft mehr zu spüren ist. Ich durfte lernen, mich als die, die ich bin, anzunehmen und zu zeigen. Ich durfte erfahren, dass es Menschen gibt, die bleiben, obwohl oder gerade weil ich ihnen auch diese Seite von mir zeige.

Die Welt ist eine andere geworden, weil sie in diesem Sieben-Jahres-Zyklus eine völlig neue Dimension bekommen hat. Ich bin nun mehr als diese Silke in diesem Leben. Ich war auch vorher schon mehr, aber heute bin ich mir dessen bewusst.

Da ist etwas, das über dieses Leben und diese Erde hinaus existiert. Der Tod hat so seinen großen Schrecken verloren, das Leben eine neue Lebendigkeit bekommen. Das ist vielleicht das größte Geschenk der vergangenen sieben Jahre.

Sieben Jahre.

Nun stehe ich hier. In einem erneuten Sturm. Und damit meine ich nicht Corona. Es war sehr still auf meinem Blog, weil ich durch einen neuen Abgrund gehe. Einer, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Ich dachte, nachdem ich Julians Tod überlebt habe, kann mir nichts mehr etwas anhaben. Doch das Leben ist meist nicht so wie wir denken. Ich bin nicht immun, nur weil ich einmal eine große Krise überstanden habe.

Ganz zaghaft zeigt sich mir, was ich dieses Mal lernen darf. Erinnert es mich an diese Kraft, die ich schon einmal ent-deckt habe. Ganz klar fühle ich heute in mir: Ich habe das nicht alles überlebt, gemeistert, gelernt und geschaffen, um nun beim nächsten Abgrund aufzugeben. Vielleicht gehört es zu meinem Wesen, ganz tief zu tauchen. Vielleicht gehört es zu dem Leben, das meine Seele dieses Mal gewählt hat. Aber es gehört auch dazu, aus tiefster Tiefe mit neuer Kraft und Weisheit wieder hervor zu kommen.

Sieben Jahre.

Heute, an Julians Todestag, ist da vor allem eins: Liebe. So viel Liebe. Ich fühle eine tiefe Dankbarkeit dafür, wie sehr mir Julian die Liebe gezeigt und mich gelehrt hat, was Liebe bedeutet. Da ist eine allumfassende Liebe, die immer da ist. Selbst wenn ich gerade so sehr mit meinem Abgrund beschäftigt bin, dass ich es fast nicht bemerke.

Ich atme diese Liebe und danke Julian. Für die Spuren, die er hinterlassen hat. Für unsere Begegnung. Und dafür, dass seine klare Seele so sehr strahlt in diesen Zeiten. Was für ein Geschenk, dass ich diese Erfahrung mit ihm machen durfte. Ich danke mir selbst, dass ich mich darauf eingelassen habe.

4 Gedanken zu „Sieben Jahre“

  1. Liebe Silke,
    ich möchte dir Kraft schicken! Es berührt mich gerade sehr, zu lesen, dass du durch einen neuen Abgrund gehen mußt.
    So sehr machst du Mut mit deinem Blog und deinen Büchern! DANKE!
    Es freut mich, dass du diese tiefe Liebe spürst, auch heute, an diesem besonderen Tag! Sie wird dich durch dieses tiefe Tal begleiten.

    Alles Liebe für dich!

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  2. Liebe Silke, nach dem Tod meines Mannes vor vier Jahren, habe ich so viel Schmerz gespürt, dass ich mich völlig verloren gefüllt habe. Du beschreibst es zutreffend, ich habe in all diesen Jahren über mich selbst reflektiert und habe meine innere Stärke entdeckt und gelernt dankbar zu sein, für die Liebe, Wärme und Lebenserfahrung, die ich durch meinen Mann erfahren durfte. Die Gefühle erschüttern mich immer noch wie ein Erdbeben, nur sind die Wellen unterschiedlich stark und ich habe gelernt damit umzugehen. Es tut mir Leid, dass du wieder eine schmerzhafte Erfahrung machen musst. Ich wünsche dir viel Kraft in dieser für dich schweren Zeit.

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  3. Liebe Silke, auf diesem Wege an dich ein Leuchten der Sonne, viel Wärme mit Liebe und der Gewissheit, immer getragen zu werden- wie auch immer der Sturm sein mag, auf welchen Ebenen er dich berührt, wir sind nicht allein.
    Fühl dich gedrückt, Barbara

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