Neugeburt

Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Hatten wir bereits andere Leben vor diesem und wird es nach diesem auch wieder welche geben? Ich bin mir persönlich ziemlich sicher, dass es so ist. Ob es wirklich der Wahrheit entspricht und ob es deine Wahrheit ist, das kann ich dir nicht sagen. Was ich aber aus Erfahrung sagen kann: Wir können innerhalb dieses Lebens immer wieder neu geboren werden.

So oft schauen wir auf den einen großen Tod, der diese spezielle Existenz beendet. Wie wäre es, wenn wir einmal ganz in diesem einen Leben bleiben? Ich jedenfalls habe schon einige Leben gelebt in meinem jetzigen Leben. Immer wieder stand ich an der Schwelle des Todes. Ich bin bisher nie ganz gestorben, aber Teile von mir, alte Ichs, davon sind bereits einige gegangen. Und das ist gut so. Nicht weil diese „alten Ichs“ so blöd waren, dass man sie unbedingt loswerden musste, sondern weil dieser kleine Tod zu meiner Entwicklung dazu gehört. Wenn Neues entstehen soll, muss Altes dafür Platz schaffen.

Das ist manchmal beängstigend. Natürlich wollen diese Teile von mir, für die es Zeit ist zu gehen, nicht ganz freiwillig sterben. Alles Leben hängt am Leben. Und dann gibt es ja noch dieses „Ich“, das ich bin, und das hat Angst, sich selbst nicht mehr zu erkennen. Jedes Mal wieder. Wer ist diese Silke dann, wenn sie nicht mehr diese Silke ist?

Gestern habe ich von Judith Holofernes gelesen, der ehemaligen Sängerin von Wir sind Helden. „Mit dramatischem Gong, und Fanfaren“ hat sie bei Patreon ihren Rücktritt als Judith Holofernes verkündet. „Danach möchte ich dann weiter mein Ding machen, unter gleichem Namen, aber jemand Anderes, Neues sein“, schreibt sie weiter. Und in mir rief alles „JA, genau!“ Ich höre auf. Ich bin nicht mehr „In lauter Trauer“. Ich bin nicht mehr die Silke, die rumreist und ihre Geschichte erzählt. Ich höre auf. Ich schließe mich an und verkünde meinen Abschied. Es ist ein guter Monat, um zu gehen.

Und dann mache ich einfach weiter. Ich schreibe weiter. Ich schreibe neu. Ich will gar nicht aufhören zu schreiben. Ich will auch nicht aufhören, Geschichten zu erzählen. Und dazu einladen, sie zu teilen. Ich bin nur jemand Neues geworden. Einige Monate lang bin ich gestorben, um dann hochschwanger mit mir selbst zu sein. Jetzt ist es Zeit, den Kopf wieder in die Welt zu strecken. Ich bin da, Welt. Ich heiße immer noch Silke, mein Blog heißt immer noch „In lauter Trauer“, aber ich bin eine ganz andere. Vielleicht bemerkt es niemand außer mir. Vielleicht wird noch etwas so Neues entstehen, dass manch einer sagt: „Wie schade, hier ist es gar nicht mehr so wie ich es kannte und mochte, bei der Silke.“ Und eine andere wird sagen: „Oh wie schön, nun gefällt es mir hier viel besser als bisher!“ Ich bin nicht hier, um für jeden Menschen gut lesbar zu sein. Ich bin auch nicht da, um jeden Trauerweg zu begleiten. Vielleicht ändere ich sogar meinen Blognamen. Womöglich werden sich die Themen wandeln. Wer weiß schon so genau, was so eine Neugeburt alles auslöst.

Wenn ein Teil von uns stirbt, dann kommt er nicht zurück. Die Erinnerung bleibt und das Leben wird neu. Eine Tür geht nicht bloß zu, sie verschwindet ganz. Deshalb heiße ich mich nun selbst wieder einmal neu willkommen in der Welt. Schön, dass ich da bin.

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