Ich habe schon öfter über den Schmerz der Trauer geschrieben und auch darüber, dass es dir noch nicht wieder gut gehen muss. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann darf es dir schlecht gehen, dann ist es okay, traurig zu sein. Trauer braucht ihre Zeit und ist dabei so individuell wie wir Menschen selbst. Heißt das dann aber, dass etwas falsch ist, wenn es dir eben nicht so sehr schlecht geht, wenn du nicht die ganze Zeit traurig bist?
Natürlich nicht. Ich kann es gar nicht oft genug sagen: In der Trauer (und auch sonst im Leben) gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, keinen einen Weg, der dich zurück ins Leben führt oder der genau so gegangen werden muss, damit du den Verlust „ordentlich“ verarbeiten kannst. Das alles gibt es nicht, weil das Leben nicht schwarz-weiß ist. Es darf dir schlecht gehen und es darf dir gut gehen. Du kannst tieftraurig sein, vielleicht wirklich lange von einer dumpfen Traurigkeit begleitet. Du kannst aber auch Freude empfinden, Dankbarkeit und Leichtigkeit. Und dann ist es möglich, dass irgendwie alles gleichzeitig da ist. Trauer kann laut, leise, sanft, schmerzhaft, einfach alles sein. Lass dir nicht einreden, du würdest etwas verdrängen, wenn es dir scheinbar „zu gut“ geht für deinen Verlust. Oder wenn du „zu schnell“ wieder voll am Leben teilnimmst. Lass dir nicht sagen, es sei irgendwas falsch, wenn es sich für dich nicht falsch anfühlt. Es darf dir gut gehen. Auch wenn ein lieber Mensch stirbt, darf es dir gut gehen. Du weißt selbst am besten, was es braucht für dich. Du weißt es ganz genau, also höre in dich hinein. Und ganz wichtig: fühle. Fühle, was da ist. Jetzt, in diesem Moment. Und dann fühle, was es im nächsten Moment zu fühlen gibt. Für mich war genau dieses Fühlen der Weg zur Heilung. Immer wieder einfach fühlen. Dafür braucht es Zeit, ruhige Momente, ein Innehalten. Das muss nicht lange sein, auch das ist sicher ganz individuell. Ich glaube aber, dass es wichtig ist. Damit es kein Verdrängen wird. Damit deine Trauer genau den Raum bekommen kann, den sie braucht, wie auch immer sie sich ausdrücken mag. Vielleicht in unfassbarem Schmerz, vielleicht in tief dankbarer Freude, vielleicht beides. Vielleicht auch ganz anders.
Ich habe oft das Gefühl, dass gerade für die schlechten Gefühle kaum Platz ist in unserer Kultur, in unserem täglichen Leben. Deshalb betone ich es, dass es dir schlecht gehen, dass die Traurigkeit ausgedrückt werden darf. Ich selbst durfte das lernen und mir hat es immer wieder geholfen, wenn mich jemand darin bestärkt hat. Es war ein langer Weg für mich, meine Gefühle wirklich anzunehmen und nicht mehr dagegen anzukämpfen oder mich vor anderen zusammen zu reißen, mir zu erlauben, „schwach“ zu sein. Ich bin diesen Weg sicher noch nicht zu Ende gegangen. In Gesprächen und Kommentaren wurde mir jetzt aber auch von der anderen Seite erzählt: Wie schwer es sein kann, wenn es einem scheinbar „zu gut“ geht. Verrückt, oder? Egal was wir machen, es gibt doch immer jemanden, der etwas daran auszusetzen hat. Wer trauert schon wie im Bilderbuch, genau nach Vorgabe, genau wie es erwartet wird? Wäre das nicht komisch? Beziehungen sind doch auch ganz individuell und es gibt keine „Standard-Beziehung“, weder zum Partner noch zum Kind noch zu irgendwem. Wieso sollte dann in der Trauer irgendwas nach Plan laufen? Wieso machen wir überhaupt Pläne für Ausnahmesituationen wie den Verlust eines lieben Menschen? Wer kann schon sagen, wie er selbst reagieren würde? Welche Situationen sind schon wirklich miteinander vergleichbar? Welcher Mensch kann behaupten zu wissen, was für einen anderen gut ist? Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass das Leben nicht planbar ist und dass wir im Grunde nichts wirklich wissen. Wir können nur immer wieder im Hier und Jetzt ankommen und ansehen, was es dort zu betrachten gibt. Und fühlen, das kann ich nicht oft genug sagen. Und dann möchte ich noch hinzufügen: Auch nichts fühlen ist okay. Etwas ändern musst du nur, wenn du selbst es willst, wenn du selbst merkst, dass es für dich in eine unheilsame Richtung läuft. Nimm dich selbst ernst. Nimm deine Bedürfnisse ernst. Nimm deinen Körper ernst, wenn er mit Symptomen reagiert. Nimm deine Gefühle ernst. Nimm deine Trauer ernst, genau so wie sie ist.
Wie geht es dir damit und mit dem Fühlen in deiner Trauer? Wie gehst du mit den gut gemeinten Ratschlägen aus deinem Umfeld um? Ich freue mich über deine Kommentare.
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Hallo Silke,
ich danke dir für diesen Beirag. Er spricht mir aus der Seele. In ganz vielen Situationen geht es mir gut, ich habe einen neuen Inhalt in meinem Leben gefunden, eine neue Richtung. Seit einem Monat bin ich stolze Besitzerin einer Islandstute. Ein Traum, den ich schon ganz lange hatte, der aber nie wirklich gepasst hat. Das ist meine Art, mir etwas Gutes zu tun. Wenn wir gemeinsam durch den Wald schlendern, bin ich ganz bei mir und auch bei meinem Mann. Ich stelle mir vor dass er uns sieht und oft die Wolken weiterschiebt, damit wir schönes Wetter haben. Ich kann laut lachen und viele schöne Momente von Herzen genießen. Auch ist mein Alltag durch die Kinder und den damit verbundenen Alltag geprägt. Sie verhaften mich sehr im Hier und Jetzt. Natürlich habe ich auch die anderen Momente, wo ich traurig und ganz besonders, wo ich alleine bin. Teilweise hatte ich schon das Gefühl, dass ich nicht traurig genug bin, obwohl ich eigentlich weiß, dass ich richtig bin so wie ich bin. Und künstlich traurig sein, kann ich auch nicht. Es ist schon verückt, dass man sich darüber Gedanken macht. Was ich aber häufig fühle ist eine große Leere, ein taubes Gefühl in mir. Besonders abends, wenn ich alleine bin.
Vielleicht hat meine Art zu Trauern auch damit zu tun, dass ich den „Verfall“ meines Mannes intensiv miterlebt habe. Nach dem Rückfall wurde er immer weniger ER. Der Krebs hat ihm alles genommen. Er hatte starke Schmerzen, konnte nicht mehr essen, später auch nichts mehr trinken. Er hat selbst geäußert, gehen zu wollen. Ich habe es als Erleichterung erlebt, dass er gehen konnte. Für ihn und für mich.
Danke für diesen Beitrag!