Ich vergebe und finde Frieden in mir

Immer wieder geschieht es im Leben, dass wir verletzt werden. Verletzt, enttäuscht, womöglich verraten, belogen oder betrogen. Das tut weh. Besonders wenn es von Menschen kommt, die uns nahe stehen, denen wir zutiefst vertrauen. Und ganz besonders in Zeiten, in denen wir eigentlich so viel Beistand brauchen. Zeiten, in denen es sowieso schon schwer ist.

Gerade nach dem Verlust eines lieben Menschen, gerade in Zeiten von Trauer und Schmerz, erleben viele von uns, dass Freunde oder Verwandte nicht so da sind wie wir es uns wünschen würden. Verletzende Worte und Ratschläge, Menschen, die sich abwenden oder auf die eine oder andere Art noch auf uns drauf treten während wir sowieso schon am Boden liegen. Menschen, die bei unserem Anblick die Straßenseite wechseln, die uns vorwerfen, dass wir zu lange, zu viel, zu falsch trauern. Oder die uns einfach nicht mehr einladen, nicht mehr anrufen, vielleicht komplett ignorieren. Menschen, die eine Mauer zwischen uns stellen und uns hilflos davor stehen lassen. Menschen, die uns mitten in unserer größten Bedürftigkeit alleine lassen.

Das alles tut weh. Ich habe es selbst erfahren. Nach Julians Tod war ich immer wieder enttäuscht und tief verletzt von den Reaktionen in meinem Umfeld. Ich konnte nicht begreifen, warum die Menschen um mich herum nicht für mich da waren, so wie ich es gebraucht hätte. Lange Zeit war ich richtig wütend, konnte es nicht fassen, wie mich all diese langjährigen Freunde nur so im Stich lassen konnten. Wie konnte es sein, dass sie genau dann, wenn ich sie brauchte, einfach weggingen? Wie konnte es sein, dass ich mich so sehr in ihnen getäuscht hatte? Auf eine Art fand ich es schwerer mit diesen Verlusten nach Julians Tod umzugehen als mit seinem Tod selbst. Er hatte seinen Tod ja nicht gewollt, aber die anderen hätten doch etwas anders machen können – so dachte ich lange Zeit.

Immer wieder höre ich von Trauernden ähnliche Geschichten, ähnliche Enttäuschungen. Wenn es dann darum geht zu verzeihen, höre ich oft, dass das nicht möglich sei. Das hätten diese Menschen doch gar nicht verdient, schließlich sollten sie nicht denken, es wäre okay gewesen, wie sie sich verhalten haben. Als könnten wir sie für ihre Taten bestrafen, wenn wir nur weiter an unserer Wut oder Enttäuschung festhalten.

Doch was heißt Vergebung eigentlich? Und was bedeutet es für uns, wenn wir nicht vergeben?

Vergebung findet in uns statt. Sie braucht keinen äußeren Ausdruck, kein klärendes Gespräch und nichts vom Anderen. Vergebung findest du in deinem eigenen Herzen. Dort, wo jetzt deine Wut und deine Enttäuschung wohnen. Nicht zu vergeben bedeutet nicht, dass du die anderen bestrafst. Auf eine Art bestrafst du immer nur dich selbst. Denn du musst mit diesem Gefühl im Herzen leben. Du trägst diesen Groll in dir, der eng macht und hart. Der andere, derjenige, der dich so verletzt hat, bekommt davon meist gar nichts mit.

Stelle dir einmal vor wie du den ganzen Abend damit verbringst, darüber nachzudenken wieso derjenige dir das angetan hat, vielleicht einer Freundin zu erzählen wie verletzt du bist und wie unmöglich all das von demjenigen war. Wie fühlt sich das für dich an? Was bedeutet das für deinen Abend? Und dann stelle dir einmal vor, wie diese Person, auf die du so sauer bist, den gleichen Abend ganz entspannt mit etwas, das derjenige gerne macht, verbringt. Vielleicht den Abend im Freien genießt, in guter Gesellschaft.

Wenn wir nicht vergeben, wenn wir uns entscheiden, den Groll in uns zu bewahren und die Verletzung zu pflegen, dann sind immer wir selbst diejenigen, die darunter leiden. Wollen wir das wirklich? 

Ich habe mich irgendwann auf diesem Weg für Frieden entschieden. Frieden in meinem eigenen Herzen. Vergebung in meinem Inneren. Vergebung für alles, was war und letztendlich Vergebung mir selbst gegenüber. Dabei ist es unerheblich, was im Außen geschieht. Der Kontakt kann abgebrochen bleiben und meine Wut zugleich verschwinden. Vergebung und Kontaktabbruch schließen sich nicht aus, weil beide mit deiner Selbstliebe zu tun haben. Es geht nicht darum, irgendetwas wiederherzustellen, sondern lediglich darum, Frieden zu schließen. Frieden in deinem eigenen Herzen.

Das geht nicht von heute auf morgen, jedenfalls bei mir war es ein längerer Weg. Mitten hindurch durch Schuld und Wut und Angst und Scham. Es ist okay, wenn all das seine Zeit braucht. Vielleicht magst du dennoch heute, gerade jetzt beim Lesen dieser Zeilen deine Intention setzen. Dich für Vergebung und Frieden entscheiden. Nicht den anderen zuliebe, sondern für dich selbst.

Denn mit diesem Frieden im Herzen ist alles gut, so wie es ist. Im Hier und Jetzt ist für mich alles in Ordnung. Ich weiß, dass jeder und jede von uns zu jeder Zeit sein oder ihr Bestes gibt. Das, was eben gerade möglich ist. Ich weiß, dass Julians Tod eine riesige Herausforderung nicht nur für mich, sondern für alle, die irgendwie davon betoffen waren, darstellte. Ich weiß, dass niemand mir Böses wollte. Tief drin wusste ich das von Anfang an, auch wenn ein anderer Teil von mir tobte. Wir gehen in diesem Leben gemeinsame Wege und wir trennen uns wieder. Das bedeutet nicht, dass der gemeinsame Weg rückblickend schlecht oder gar falsch war. Niemand ist mir gegenüber verpflichtet, meinen Weg mitzugehen. Wer wäre ich, so etwas zu verlangen? Es ist mein Schicksal und mein Weg und ich bin dankbar für jeden, der nun in diesem neuen Leben ein Stück des Pfades mit mir geht. Wie könnte ich mir erlauben, ich selbst zu sein, und andere dafür verurteilen, dass sie das gleiche für sich beanspruchen?

Auf diesem Weg des inneren Friedens ist mir ein einfaches und zugleich sehr wirksames Ritual aus Hawaii begegnet: Ho’oponopono. Vielleicht hast du schon mal davon gehört. In der Essenz geht es um Vergebung. Es geht darum, zunächst in Worte zu fassen, was das Herz vielleicht noch nicht spüren kann. Es macht nichts, wenn du zunächst eine innere Abwehr verspürst. Es ist okay, wenn du die Worte einfach erst einmal nur sagst. Aber sage sie regelmäßig. mache es dir zur Gewohnheit und schaue, was geschieht. Es sind vier Sätze, die du dir selbst oder deinen Mitmenschen sagen kannst:

Es tut mir leid.
Bitte vergib mir.
Ich liebe dich.
Danke.

Du musst sie nicht laut aussprechen. Du musst sie niemandem wirklich sagen. Darum geht es nicht. Vergebung braucht kein Gegenüber. Vergebung ist bedingungslos. So wie Liebe in ihrer Essenz bedingungslos ist. Weil Vergebung Liebe ist. Liebe zu dir selbst.

Das klingt groß. Und ist doch so einfach. Ich brauche deine Vergebung nicht, um dir zu vergeben. Ich brauche deine Einsicht nicht, um dir zu vergeben. Ich vergebe in mir und bin frei von dem, was in dir geschieht. Ich muss nicht gut heißen, was war. Ich muss nicht mit dir befreundet sein. Ich muss gar nichts. Und du auch nicht. Ich vergebe dir. Und ich vergebe mir. Nicht mehr und nicht weniger.

Auf diese Weise erfahre ich immer wieder, wie ich mein Herz weiter öffnen kann. Wie es möglich ist, weiter zu lieben, zu vertrauen und mich einzulassen auf die Menschen und das Leben. Und ist es nicht das, worum es geht hier in dieser Zeit auf Erden?

2 Gedanken zu „Ich vergebe und finde Frieden in mir“

  1. Liebe Silke,

    ein berührender Text, danke für diese Worte! Ich selbst schreibe u.a. über Sternenkinder und erfahre im Austausch mit meinen Lesern auch immer wieder wie verletzend die Umwelt teilweise reagiert. Diese Verletzungen und dieses unsensible Verhalten ist real, auf der andere Seite trifft es deshalb so stark, weil man in der Trauer selbst so unendlich sensibel und verletzlich ist. Ich finde gut, bei sich selbst anzusetzen, denn man kann nur die eigene Haltung hinterfragen und versuchen selbst einen besseren Umgang damit zu finden. Wenn ich zurückblicke, dann war das bei mir ein sehr schmerzvoller Weg, aber auch einer, der es mir erlaubt hat zu wachsen und mich weiterzuentwickeln.

    Herzliche Grüße

    Silke

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    • Danke dir für deine lieben Worte, liebe Silke! Ja, im Grunde können wir immer nur bei uns selbst schauen, auch wenn das zugleich nicht heißt, dass wir den anderen die Verantwortung nehmen. Aber verändern können wir sie nicht, nur unseren eigenen Umgang damit. Und wir können und dürfen uns jederzeit denen zuwenden, die uns guttun auf unserem Weg.
      Ganz liebe Grüße und danke auch für deinen wertvollen Blog!
      Silke

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