Filmdreh in Nepal und Abschied von „In lauter Trauer“

Vor ein paar Wochen durfte ich wieder eine besondere Reise nach Nepal machen. Gut sieben Jahre nach meinem letzten Besuch war ich diesmal mit dem Filmteam von „The Day We Leave Earth“ unterwegs. Das Projekt des Künstlerkollektivs „Les Gastons“, gemeinsam mit Indievisuals und Spektrumfilm Hessen, widmet sich dem Thema Sterben, der Angst vor dem Tod und der Frage, was nach dem Tod geschieht. Unterschiedliche Protagonisten teilen ihre Erfahrungen und ihre Sicht auf die genannten Themen. Ich bin eine davon. 

Es war eine unverhoffte Reise, die ich alleine in diesem Jahr nicht gemacht hätte. Umso dankbarer bin ich für alles, was ich dort erleben durfte. 

Für die Dreharbeiten sind wir gemeinsam nach Pokhara gereist, um die Orte zu besuchen, die damals nach Julians Tod – vor mehr als 11 Jahren – eine besondere Bedeutung hatten:  der Ort, wo er gestorben ist, das Krankenhaus, an dem ich seinem Körper noch einmal begegnet bin, und das Kloster, in dem er verbrannt wurde. Eins habe ich bei dieser Reise noch einmal tiefer begriffen: Viel wichtiger als die Orte waren die Menschen, die mich damals als meine nepalesische Familie begleitet haben. Als diese werden auch sie im Film zu sehen sein. 

Im Vorfeld zu unserer Reise war es mir wichtig zu wissen, wofür wir hinfliegen. Wofür sollte ich meine Geschichte noch einmal erzählen? 

Mir war wichtig, dass keine klischee-behafteten, tragisch-romantischen Szenen dabei herauskommen. Das bin ich nicht. Davon gibt es schon genug zu sehen und ich glaube nicht, dass es irgendwen wirklich weiterbringt. Ich glaube, es geht um etwas anderes. Um das Leben und den Tod als Teil davon, um unseren Umgang damit und den jeweils eigenen der Zuschauer. Also um viel mehr als bloß das, was ich damals erleben durfte. Ich möchte keine Betroffenheit erzeugen, vor allem weil ich selbst heute nicht mehr so empfinde. Ich möchte viel lieber, dass Menschen bei sich bleiben und fühlen, was Bilder und Worte mit ihnen machen und in ihnen anstoßen. 

Auch Filmemacherin Julie und ihrem Team geht es um mehr als nur um eine tragische Geschichte und so war es mir eine Freude, meinen Teil zu ihrem Film beizutragen. Ein Film, der in meinen Augen das Potenzial hat, wiederum einen wichtigen Beitrag für unsere heutige Zeit und die Veränderungen, die nötig sind, zu leisten. 

Letztlich geht es um nichts weniger als um unser Vertrauen in das Leben. Liebe und Frieden als Grundzustand. 

Viel interessanter als die Geschichte von damals finde ich aus heutiger Sicht, wo es mich hingeführt hat und welche Auseinandersetzung darauf folgte. Um das zu erzählen, haben wir dort gedreht, wo es begonnen hat. Besonders gefreut habe ich mich darüber, dass wir in dem buddhistischen Kloster, in dem Julians Körper verbrannt wurde, sowohl bei einer Trauerfeier, Zeremonie und Verbrennung dabei sein als auch für die Kamera unser eigenes Feuer anzünden durften. 

Auf diese Weise sind außergewöhnliche Szenen entstanden, die so meines Wissens noch in keiner Dokumentation über Nepal zu sehen sind. Möglich gemacht hat es Krishna (rechts im Bild in unserer Mitte), der uns in den wenigen, dichten Drehtagen als kompetenter und zugleich tiefgründiger Guide begleitet hat. Solltest du einmal nach Nepal reisen wollen, kann ich ihn dir jedenfalls sehr empfehlen.

Für mich war es eine besondere Erfahrung, diesmal von außen zuzusehen und auch in meiner Rolle als Bestatterin mehr über die Rituale und deren Bedeutung zu lernen. Zum Beispiel wurde mir gezeigt, welche Kräuter als Räucherwerk verwendet werden, damit das Feuer unter freiem Himmel keine schlechten Gerüche entwickelt. Ich durfte erfahren, welche Rituale rund um die Verbrennung wichtig sind. Damals, für uns als Ausländer, gab es diese so nicht. Alles war ein wenig anders und nicht weniger würdevoll. 

Nachdem ich in den letzten Jahren viele Trauerfeiern besucht und mitgestaltet habe, war es besonders eindrucksvoll für mich, noch einmal zu erleben, wie die Nepalesen diesen Tag des Abschieds gestalten. Es waren sehr viele Menschen dort, über den ganzen Tag verteilt fanden die Rituale statt. Für uns als Außenstehende war gar nicht so klar ersichtlich, wer von den Anwesenden zur „Trauergemeinde“ gehört. Vermutlich waren es mehr oder weniger alle, die sich auf dem Gelände des Klosters befanden. Zumindest habe ich rückblickend erfahren, dass alleine für Julian, den fast keiner in Nepal gekannt hatte, 150 Menschen aus der Familie zusammen gekommen sind. Damals habe ich das in meinem Zustand nicht zuordnen können. 

Bei der nepalesischen Abschiedsfeier in diesem Jahr ist mir ganz besonders aufgefallen, wie die Menschen dort hingesehen haben. Der Verstorbene wurde gemeinsam vorbereitet und geschmückt, zu den „Feuerstellen“ getragen und als er dort aus seiner sitzenden in eine liegende Position gebracht wurde, kamen alle möglichst nah, um zu sehen was geschieht. Es war wie das Gegenteil von dem, wie es meistens hier in Deutschland ist. Hier sehen die Menschen eher weg und geben die Versorgung und den Transport der Verstorbenen an Experten, also an Bestattungsunternehmen, ab. Bei uns wird meist möglichst viel Abstand gehalten und alles findet auf eine Art in einem gedämpften Rahmen statt. 

Einer der bewegendsten Momente der Reise war, als die junge Ehefrau des Verstorbenen neben dem Feuer zusammen gebrochen ist, mit aller Wucht der schmerzhaften Gefühle. Ich möchte eigentlich sagen, „als sie zusammenbrechen durfte“, denn sowohl sie selbst als auch die anderen haben es ihr erlaubt. Sie war gehalten und nicht alleine. Sie zu sehen hat mich daran erinnert, wie viel Schmerz wir in unseren Körpern halten, wenn wir uns nicht erlauben ihn auszudrücken. Es ist eine große Last, die viele von uns mit sich herumtragen. Ich selbst erinnere mich jedenfalls gut daran, wie meine eigenen Zusammenbrüche meist dann geschahen, wenn ich von Treffen mit Freunden nach Hause kam. Alleine und ungehalten. Ich wusste nicht, wie es anders gehen kann. 

Dabei hatte ich das große Glück, die Erfahrung von echter Nähe in Nepal zu machen.

 Mehrere Male bin ich in den Jahren nach Julians Tod dort gewesen, auch um diese Nähe zu tanken. Auf dem Bild seht ihr mich mit Rekha, die mich sehr vieles davon gelehrt hat, auch wenn sie fast kein Wort englisch spricht und ich kaum nepalesisch. Ohne Worte ist sie selbst eine Art der verkörperten Liebe, die man nicht beschreiben, sondern nur erleben kann.

Auf andere Art wichtig war unser Besuch an dem Ort, wo damals Julians Körper bis zur Zeremonie aufbewahrt wurde. Wer mein Buch „Zwischen den Welten“ gelesen hat, erinnert sich vielleicht an den Moment, in dem ich ihn noch einmal sehen durfte. Ein heiliger zeitloser Moment, in dem mich eine tiefe Kraft und Ruhe durchströmt hat. Ein Moment, der mein Leben nachhaltig verändert hat, eine spirituelle Erfahrung wie man so schön sagt. Der Ort war nicht mehr ganz der gleiche und doch haben wir die Kühlbox wiedergefunden, die damals ein wenig anders stand. Ich fand es großartig, dass wir dort filmen konnten, weil es wirklich kein schöner Ort ist. Eine alte, graue, hässliche Kühlbox hinter einem kleinen, schäbigen Gebäude, inmitten von Müll und Gestank. Nein, es braucht nichts Besonderes im Außen, um eine wahrhaft lebensverändernde Erfahrung zu machen. Weder Kerzen noch pseudo-heilige Meditationsräume, goldene Klangschalen oder erhabene Musik. Sie geschehen einfach mitten im Leben, dort, wo sie eben sind.

Einige Menschen haben mich gefragt oder vielmehr vermutet, dass diese Reise noch einmal viel in mir aufgewühlt hat. Das Gegenteil war der Fall. An allen Orten habe ich in mir Frieden gefühlt. Frieden, Weite und ein tiefes Einverstandensein mit allem. Alles ist gut. Das war schon hier in Deutschland so. Auch in Nepal ist mir kein Grund begegnet, warum es anders sein sollte. Julians Leben ist vollendet und rund. Mein Leben ist noch nicht zu Ende. Alles ist genau so wie es sein soll.

So ist der Ort seines Todes eben genau nur das: Der Ort, an dem Julian gestorben ist. Welche Bedeutung ich ihm heute gebe, liegt ganz bei mir. 

Gefunden haben wir ihn nach einigem Suchen mehr oder weniger durch Zufall und weil unser Guide nicht aufgeben wollte. Andere Orte wie das Krankenhaus waren ganz verändert und befinden sich nun woanders. So wie ich selbst mich verändert habe und mich an einem anderen Ort befinde, innen wie außen, so ist das Leben natürlich auch in Nepal weitergegangen. 

So ist es nun an der Zeit, „In lauter Trauer“ bewusst zu beenden.

Ich trauere nicht mehr um Julian und habe zu meiner persönlichen Geschichte schon vor einiger Zeit alles geschrieben, was es zu sagen gab. Das Leben und meine Arbeit im Bestattungsunternehmen und bei Lebensfluss bringen neue Auseinandersetzungen mit sich, über die ich auch in Zukunft schreiben und reden möchte. Doch es fühlt sich nicht stimmig an, das hier zu tun. Hier ging es um meine Trauer, um laute Trauer und damit bin ich fertig. Vielleicht hat es diese Reise gebraucht, um es in aller Klarheit zu erkennen, was schon seit einigen Jahren so war. Vielleicht ist einfach bloß jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu sortieren, zu reduzieren und mit klarer Ausrichtung weiter zu gehen. 

Die Seite wird als Archiv bestehen bleiben, so dass meine Texte weiterhin gelesen werden können. Denn Gefühle sind zeitlos und manch einer mag auf dem eigenen Weg nach einem Verlust in meinen Worten weiterhin etwas finden können.

Ich ziehe weiter, wo ich schon bin, und widme mich in Zukunft mehr dem Projekt „Über den Tod reden“,  das ich bereits 2018 mit Bernhard zusammen gestartet habe. Dort wird es vermutlich bald einen Blog geben, in den neue Gedanken und Texte fließen. Videos gibt es bereits, doch auch diese werden eine neue Richtung einschlagen.

Dort sowie bei Lebensfluss Begleitung werde ich natürlich darüber berichten sobald der Film „The Day We Leave Earth“ zu sehen sein wird. Ein wenig müsst ihr euch allerdings noch gedulden. Die Premiere wird voraussichtlich erst im Herbst 2025 sein. Danach soll es eine Arthouse-Kinotour geben und im Anschluss wird der Film bei Arte zu sehen sein. 

Ich freue mich, wenn wir uns auf die eine oder andere Art auch in Zukunft begegnen werden. Meine Erfahrungen mit der nepalesischen Kultur werde ich im Herbst 2024 im „Zentrum für altes und neues Wissen und Handeln“ in Hofheim teilen. Davor gibt es auch die Gelegenheit, bei unserem Wochenende für Trauernde in der Wetterau mit dabei zu sein oder eine unserer System- / Familienaufstellungen rund um Tod und Trauer in Friedberg (Hessen) zu besuchen. 

Ich danke allen, die im Verlauf der letzten acht Jahre auf vielfältige Art und Weise diesen Blog unterstützt haben. Und ich danke mir, dass ich damals den Mut hatte, damit hinaus zu gehen.

Ich habe viel gelernt hierdurch und freue mich über die Online- und Offline-Begegnungen, die daraus entstanden sind. Danke an alle, die meine Texte gelesen und auf sich selbst haben wirken lassen. 

Mit dieser aktuellen Nepalreise klingt „In lauter Trauer“ aus. An dem Ort, an dem die Erfahrung begonnen hat, die mich zum Schreiben geführt hat. Voller Dankbarkeit teile ich zum Abschluss ein kleines Video mit Handy-Aufnahmen dieser Reise. Eine Art Mini-Vorgeschmack auf den Film, der da kommen wird, und ein Ausdruck meiner Dankbarkeit, gewidmet den einzigartigen Menschen, denen ich in Nepal begegnen durfte und die mein Leben auf besondere Weise geprägt haben. 

4 Gedanken zu „Filmdreh in Nepal und Abschied von „In lauter Trauer““

  1. Hallo Silke, vielen Dank für dein Schreiben. Wir verstehen sehr gut, dass du innehalten möchtest und deinen Blög in „Lauter Trauer “ beendest. Mit deinem neuen Blog und eurem weiteren Vorhaben wünschen wir viel Erfolg., Wir möchten die Verbindung zu dir und deinem
    Ehemann nicht abbrechen. Es freut uns immer, wenn wir ab und zu etwas von euch hören bzw.
    lesen. natürlich kannst du entscheiden ob du die Verbindung in loser Form halten willst.
    Liebe Grüße auch an deinen Mann von Karl und Ilse

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  2. Liebe Silke,
    hach, da wird mir ganz feierlich ums Herz. Einfach schön, dass du nun einen bewussten Abschied formulierst, der eigentlich eh schon sehr ersichtlich war.

    Feierlich fühle ich mich nun, weil dein Blog mir viel bedeutet hat und durch deine Zeilen so Vieles möglich wurde. „In lauter Trauer“ war mein Türöffner, um meine eigene Schreibkraft zu entdecken und den Mut zu finden, meine Gedanken öffentlich zu teilen – teils ganz den deinen ähnlich, teils auch einfach ganz anders, in anderen Facetten.
    Das Ganze dann in einem bereichernden Miteinander und Umeinander mit persönlichen Begegnungen.
    Ja, deine Texte sind trotz Datumsstempel zeitlos und bereichern das Internet und jede/n, der sie findet. Danke, dass sie stehen bleiben und ich so auch weiterhin von „…ein Stück untröstlich“ hierher verweisen kann!

    Chapeau, was du dir erarbeitet hast und aaaaaaaaaaalles Liebe für die nächsten Schritte, du Wundervolle – ich freue mich auf weitere Begegnungen!

    Herzlich, Anja

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    • Liebe Anja,
      danke für deine feierlichen Worte. 🙂 Es tut sehr gut, diesen Abschied bewusst zu machen, auch wenn er längst da war. Danke, dass du es würdigst. ♥
      Es fühlt sich schön an, noch mal zu reflektieren, welche Auswirkungen unsere Taten haben. Wie eine Welle wurde ich selbst damals angestoßen, deine Schreibkraft wurde entdeckt, das hat wiederum andere Menschen und Taten bewirkt usw. Vieles von dem, was wir bewirken, geschieht ganz leise im Verborgenen und wir bekommen es gar nicht mit, aber manches wird auch laut und sicht- oder hörbar. Das ist grade ein sehr schönes Bild in mir und nur ein Mini-Ausschnitt vom großen ganzen Bild. Danke, dass du den Impuls aufgegriffen und mit „…ein Stück untröstlich“ deine Facetten des Bildes für die Menschen sichtbar gemacht hast!
      Dir ebenfalls alles Liebe und ja, ich freue mich auch, wenn wir uns wieder begegnen!
      Silke

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  3. Hallo Silke,
    Es war und ist, immer wieder sehr schön, deine Texte aus denen immer wieder neue Ideen entspringen, zu lesen. Danke dir dafür. Obwohl mein Anliegen mit dir damals in Kontakt zu kommen, eine ganz andere Sache war. Ich habe viel von dir gelernt, besonders den Umgang mit dem Tod. Auch jetzt wieder das beenden mit deinem Lebensabschnitt“julian“. Das fühlt sich für mich so ruhig und fertig an. Das tut mir sehr gut. Auch eure Gesprächsrunde, das FamilienStellen, diverse andere Veranstaltungen sind stimmig. Du hast deine Berufung gefunden…
    Kompliment

    Elke

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