Seit ich als Trauerberaterin arbeite und mich viel mit dem Thema Trauer beschäftige, werde ich immer häufiger gefragt, wie man eigentlich mit der Trauer von anderen umgehen kann. Häufig kommt die Frage, was man denn bloß tun kann, um einem Freund zu helfen, damit es ihm wieder besser geht. Ich sage dann immer: “Einfach nur da sein.” Doch so einfach, wie das klingt, ist das gar nicht und wir fühlen uns oft sehr hilflos und überfordert mit der Situation. Woran liegt das?
Wir sind es gewohnt, immer etwas zu tun, immer nach Lösungen zu suchen. Wenn etwas nicht gut ist, dann setzen wir alles daran, es zu ändern, zu verbessern, zu lösen. Gerade hier in unserer westlichen Kultur lernen wir, dass wir immer für unser Glück verantwortlich sind und dass wir es jederzeit in der Hand haben, etwas zu ändern. Auf eine Art stimmt das auch und zugleich gibt es nach einem schweren Verlust zunächst einmal keinen schnellen Weg zurück zum Glück. Außerdem sind wir natürlich mitfühlende Wesen und es ist gar nicht so leicht, die schwere Trauer eines Menschen, der uns nahesteht, auszuhalten. Wir möchten nicht, dass es ihm schlecht geht, und so suchen wir umso mehr nach einer Lösung für ihn. Im Grunde genommen für uns beide, den Trauernden und auch uns selbst, damit auch wir diesen Schmerz nicht mehr miterleben müssen, nicht mehr mitansehen müssen, wie er leidet. So passiert es dann schnell, dass wir etwas verändern wollen, wo es gerade gar nichts zu verändern gibt. Denn in der Trauer geht es erstmal vor allem auch darum, wahrzunehmen, zu fühlen und schließlich auch anzunehmen, was da ist – auch wenn das sehr schmerzhaft sein kann.
Und so gibt es in der Begegnung mit trauernden Menschen oft diese innere Stimme, die anspringt und ganz aufgeregt ruft: “Ohjeh, demjenigen geht es so schlecht, das darf nicht so bleiben! Wir brauchen dringend eine Lösung! Wir müssen etwas tun! Wir müssen jetzt das Richtige sagen!” Diese Stimme meint es gut und ist zugleich doch gar nicht so hilfreich. Im Gegenteil: Sie setzt uns ganz schön unter Druck und manchmal führt sie vielleicht sogar dazu, dass wir uns ganz zurückziehen, weil wir das Gefühl haben, wir können sowieso nichts richtiges tun und schaden demjenigen vielleicht nur, weil wir im Umgang mit ihm alles falsch machen. Doch es braucht eben nicht immer gleich eine Lösung, ja es kann gar nicht immer eine Lösung geben. Und es gibt auch nicht das eine “Richtige”, was man sagen könnte, was dem anderen hilft. Es gibt hierfür keine Bedienungsanleitung und es ist auch ganz unterschiedlich, was Trauernde brauchen. Der eine möchte vielleicht eine zeitlang immer wieder erzählen was geschehen ist, braucht dieses Erzählen, um es zu verarbeiten. Der andere ist vielleicht eher dankbar für Ablenkung oder braucht für sich eine Weile lang den Rückzug, um einen Teil der Trauer mit sich selbst auszumachen. Manch einer benötigt vielleicht ganz praktische Hilfe im Haushalt, ein anderer braucht das Gefühl, wenigstens die alltäglichen Dinge noch selbst in der Hand zu haben. Und während ich das so schreibe fällt mir auf, dass es noch komplexer ist: Denn all das kann sich ständig ändern. Wenn ein Trauernder heute sagt, dass er sich Ablenkung wünscht und dringend mal rausmuss, kann es sein, dass er morgen eure Verabredung absagt, weil ihm alles zu viel wird und er sich daheim verkriechen möchte. Die Trauer ist unberechenbar, sie kommt meist in Wellen, sie dauert so lange wie sie eben dauert und jeder Mensch ist einfach so individuell, dass es keine klaren Ratschläge oder Regeln für den Verlauf der Trauer und den Umgang damit geben kann.
Das alles macht uns in der Begegnung mit Trauernden so hilflos. Wir wollen helfen, wir wollen das “Richtige” sagen oder tun, aber es gibt im Grunde nichts, was wir wirklich tun können. Wir können den Verstorbenen nicht wieder zum Leben erwecken, wir können keinen passenden Ersatz beschaffen und wir können auch nicht mit lustigen Geschichten oder leckerem Essen vom Verlust ablenken – jedenfalls nicht dauerhaft. Wir sind hilflos im Angesicht dieser Situation und das ist okay so. Es ist schwer auszuhalten, aber es ist okay. Da geht es mir als “professionelle” Begleiterin nicht anders als dir. Ich habe viel über die Trauer gelernt, sie selbst erfahren, kenne Methoden, die für die ein oder andere Situation genutzt werden können, und zugleich stehe ich jedem Trauernden, der mir begegnet, auch ganz hilflos und mit leeren Händen gegenüber. Es geht dann nicht darum, diese Hilflosigkeit loszuwerden oder zu überwinden. Sie darf bleiben und mitgehen. Auch der Trauernde fühlt sich wahrscheinlich hilflos in Anbetracht dessen, was geschehen ist. Hilflos können wir so beide gemeinsam dastehen und schon allein dadurch kann dem Trauernden auf eine Art geholfen sein. Es ist auch völlig okay zu sagen, dass du nicht weißt, was du sagen sollst, dass du so gerne helfen würdest aber nicht weißt wie. Vielleicht könnt ihr dann gemeinsam rausfinden, was es bräuchte für den Trauernden und was du geben kannst. Denn manchmal gibt es natürlich auch ganz konkrete Dinge. Und manchmal geht es eben darum, einfach nur so zusammen dazusitzen und auszuhalten was da ist. Gehe auf den Trauernden zu, erlaube dir selbst dabei nicht zu wissen was es zu tun gibt und sei ganz offen für das, was der Trauernde dir sagt oder zeigt. Vertraue ihm, dass er seinen Weg hindurch finden wird, auch wenn du das Gefühl hast, dass manche Dinge, die er tut, vielleicht nicht so hilfreich sind.
Lange saßen sie dort und hatten es schwer.
Aber sie hatten es gemeinsam schwer und das war ein Trost.
Leicht war es trotzdem nicht.Aus „Ronja Räubertochter“ von Astrid Lindgren
Wie ist es für dich, was erlebst du im Umgang mit Trauernden? Welche Fragen hast du? Teile sie gerne hier in den Kommentaren. Oder wenn du selbst gerade trauerst, dann teile auch gerne, welche Art der Unterstützung dir von anderen hilft, was du dir vielleicht wünschen würdest.
Einen ganz wundervollen Radiobeitrag zum Umgang mit Trauernden von Charlotte Schönberger, bei dem ich ebenfalls zu Wort komme, findest du übrigens hier: SWR2 Tandem – Lieber nichts sagen als was Falsches?
Hallo Silke, wie immer ein sehr guter, einfühlsamer Artikel. Mein erstes Ostern allein ohne meine Frau. Beim lesen Deiner Zeilen habe ich mich in allem wiedergefunden. Und es haben sich bei mir mehr Fragen aufgetan. Fragen für die ich noch keine Antworten finde.
Gruß Andreas
Hallo Andreas,
danke dir für deinen Kommentar. Ich freue mich, von dir zu lesen, auch wenn der Anlass, aus dem du auf meine Seite gefunden hast, sehr traurig ist. Es tut mir sehr leid, dass deine Frau gestorben ist.
Magst du deine Fragen teilen oder dich lieber erst einmal selbst damit auseinandersetzen? Es braucht ja nicht immer auf jede Frage eine Antwort. Manchmal kommen Antworten ganz unerwartet und wenn wir schon nicht mehr daran geglaubt haben, dass es eine Antwort darauf geben könnte. Und manchmal bleibt es dabei, dass es keine Antwort gibt.
Ganz herzliche Grüße
Silke