Wenn ich erzähle, was ich mache und welch großen Anteil die Beschäftigung mit dem Tod und der Trauer in meinem Leben hat, dann werde ich öfter mal gefragt, ob das nicht belastend und schwer ist. Ich sage dann immer gerne, dass die Beschäftigung mit dem Tod doch eigentlich sehr bereichernd ist und vor allem, dass sie uns letztendlich immer zum Leben führt. Heute Abend durfte ich das wieder einmal ganz direkt erleben. Ich war bei der Veranstaltung “Tod-Reden”, die im Bestattungshaus “Kistner + Scheidler” in Frankfurt von Leila Haas und Dorothee Becker angeboten wurde. “Tod-Reden” ist eigentlich ein Stammtisch, der immer am letzten Samstag des Monats in Frankfurt stattfindet und zu dem Menschen zusammenkommen, um über den Tod zu reden. Dieses Format entstand 2004 in Belgien, Frankreich und der Schweiz, wurde dann als “Death Café” nach England gebracht, von dort aus nach Amerika exportiert, wo es in einigen Städten regelmäßige Treffen gibt, und hat von dort wiederum schließlich 2014 den Weg nach Deutschland gefunden. Das erste deutsche Death Café fand und findet in Berlin statt, “Let’s talk about death” gibt es seit einer Weile in Wiesbaden und nun eben “Tod-Reden” in Frankfurt.
Ich hatte bereits davon gehört, es aber bisher zeitlich nicht geschafft, zu einem der Stammtische zu gehen. Heute Abend also meine erste Teilnahme an “Tod-Reden” und ich muss sagen: Ich fühle mich sehr lebendig, belebt durch diese wunderbare Veranstaltung. Knapp 30 Menschen kamen heute Abend zusammen, neugierig und jeder mit seiner ganz eigenen Geschichte, dem ganz eigenen Interesse an diesem Thema Tod, über das so gerne und oft geschwiegen wird in unserer Gesellschaft. Und am Ende durften wir gemeinsam feststellen: Das Thema des Abends war zwar der Tod, aber geredet haben wir am Ende doch vor allem über das Leben.
Eine große Frage, die sich für mich durch den Abend zog und mich selbst auch immer wieder beschäftigt, ist die nach dem bewussten Leben. Wenn wir sagen, dass der Tod uns eigentlich auf das Leben verweist und gerade doch die Tatsache, dass wir alle irgendwann sterben uns dazu bringen könnte, das Leben, das wir haben, möglichst bewusst und erfüllt zu leben, dann ist das in der Theorie schön und gut. Es klingt so toll: Ich lebe jetzt bewusster, weil ich weiß, dass alles vergänglich ist und meine Tage hier auf der Erde nicht verplempern möchte. Aber was genau bedeutet das denn eigentlich? Wie lebe ich denn bewusst? Muss ich dazu jeden Morgen meditieren? Bücher über Achtsamkeit lesen? Yoga machen oder meine Ernährung komplett umstellen? Müssen all meine Handlungen und Worte sinnvoll sein? Welchem Ratgeber kann ich hier folgen? Und wie gehe ich damit um, wenn es mir eben nicht vom ersten Tag an gelingt, ein achtsames Leben zu führen, auch wenn ich es mir noch so sehr vornehme?
Ich glaube, bewusst leben bedeutet vor allem immer wieder innehalten und nachspüren, was ich denn eigentlich möchte in meinem Leben. Und dann ist es wieder einmal etwas ganz individuelles. Jeder Mensch hat eine ganz eigene Definition davon, was ein guter und erfüllter Tag für ihn bedeutet und mit welchen Erlebnissen, Dingen und Menschen er sein Leben füllen möchte. Ich glaube, es geht vor allem darum, zu versuchen, wieder mehr genau darauf zu hören. Was macht uns zufrieden, was ist uns wichtig, wie können wir uns selbst ausdrücken als der einzigartige Mensch, der jeder von uns ist? Für mich persönlich heißt es, dass ich möglichst nicht so viel bereuen möchte am Ende. Ich möchte Dinge, die mir wichtig sind, nicht ewig aufschieben und dann am Ende feststellen, dass ich mich nie getraut habe, sie anzugehen. Und zugleich ist das alles so groß. Gerne würde ich immer meinem Herzen folgen, meine Bestimmung leben, vielleicht hier und da etwas bewirken, einen kleinen Samen pflanzen, der irgendwann aufgehen kann, zum Wohle der Menschheit und der Erde. Doch natürlich kann ich das nicht in jedem Moment meines Lebens optimal umsetzen. Ich kann es nur immer wieder aufs Neue probieren. Und dann versuchen, nicht so hart zu mir selbst zu sein, wenn es mir wieder einmal nicht gelingt.
Der Gedanke an den Tod und dass das Leben möglich gut genutzt werden sollte kann sonst auch dazu führen, dass ich mehr und mehr damit beschäftigt bin, mein Leben und mein Wirken auf dieser Erde zu optimieren, dass ich das Leben vielleicht viel zu ernst nehme und am Ende dann doch irgendwie vergesse zu leben. Denn es darf auch leicht sein. Bewusst leben heißt für mich nicht, dass ich immer die aus sämtlichen Blickwinkeln betrachtet beste Entscheidung treffen muss, sondern auch, dass ich einfach wirklich lebe. So darf ich mir auch erlauben, eben nicht immer alles richtig zu machen und eben auch mal einfach keine Lust auf bewusstes Leben zu haben. Mit dem Essen vor dem Fernseher hängen, ganz ungesunde Chips essen oder ein Glas Rotwein zu viel trinken. All das ist auch Leben. Ich glaube, genau dafür sind wir hier. Um das Leben zu leben, zu feiern und auszukosten.
Dazu gehört auch, dass wir uns dem Leben hingeben, dass wir mehr und mehr lernen dürfen, das anzunehmen, was das Leben uns bietet. Auch mal etwas zu wagen, die vermeintliche Sicherheit aufzugeben, uns ins Leben zu stürzen. Vielleicht merken wir hier und da, dass wir es übertrieben haben, dass etwas oder jemand nicht zu uns passt, dass wir es doch anders machen wollen. Und dann können wir es anders machen. Und wenn dann der Tod kommt, der von lieben Menschen oder unser eigener, dann können wir auch ihn erleben, würdigen, vielleicht sogar auf eine Art feiern. In all der Traurigkeit, die er mit sich bringt. Er ist Teil des Lebens, vielleicht ein ganz besonderer. Ich habe für mich heute Abend vor allem wieder erlebt, wie dankbar ich bin für all die Dinge, die der Tod mich gelehrt hat und immer noch lehrt. Ja, mittlerweile bin ich auf eine Art sehr dankbar dafür, dass er so früh in mein Leben kam, mich so durchgerüttelt und umgehauen hat und mir damit die Chance gibt, mich bereits in jungen Jahren damit und mit mir selbst auseinanderzusetzen.
So fühle ich mich dann also heute Abend nach diesem Gespräch über den Tod viel lebendiger als vorher. Wie kann man das jemandem erklären, der sich nicht damit auseinandersetzen möchte, für den der Tod ausschließlich schrecklich ist und etwas, wo man lieber nicht hingucken sollte? Nun, vielleicht indem man denjenigen das nächste Mal mitnimmt zu einem Stammtisch dieser Art. Oder indem ich es einfach für mich selbst genieße und jeden selbst für sich entscheiden lasse, ob er sich auf dieses Abenteuer einlassen möchte oder nicht.
Ich bin jedenfalls sehr dankbar für das heutige Gespräch und die Veranstaltung. Vielleicht interessiert es dich ja auch, einmal daran teilzunehmen. Alle Adressen, die ich kenne, habe ich dir nachfolgend zusammengestellt. Wenn du eine ähnliche Veranstaltung kennst, die hier nicht aufgeführt ist, ergänze sie gerne in den Kommentaren. Vielleicht hast du auch Lust etwas ähnliches in deiner Stadt zu starten wenn sie noch nicht dabei ist? Und dann würde mich natürlich noch interessieren, was bewusst Leben für dich ganz persönlich heißt. Ich freue mich, wenn du deine Gedanken dazu mit mir teilst!
„Tod-Reden„: Stammtisch an jedem letzten Samstag im Monat ab 18 Uhr im Club Voltaire in Frankfurt
„Café Tod„: Stammtisch in Berlin, organisiert von der alternativen Bestatterin Angela Fournes
„Let’s talk about death„: Stammtisch in Wiesbaden, jeweils am letzten Donnerstag im Monat
Death Café „Reden über Tod“: Stammtisch in Minden, organisiert vom Hospizkreis Minden e.V.
Die heutige Veranstaltung fand bei Kistner + Scheidler Bestattungen in Frankfurt statt. Einmal monatlich gibt es dort interessante Vorträge und Gesprächsrunden rund um Trauer, Tod und Sterben.

Ich freue mich, wenn du etwas zurück geben magst. Das geht via Paypal: https://www.paypal.me/InlauterTrauer
Oder ganz einfach direkt auf mein Konto:
IBAN: DE77 4306 0967 6025 3915 00
Ich danke dir von Herzen für die Wertschätzung meiner Arbeit, Zeit und Liebe, die ich in all das hier fließen lasse ❤
10 Antworten
Hallo Silke,
ich habe heute Morgen mit großem Interesse Deinen Text gelesenen! Und ich möchte Dir das einfach kurz schreiben und Dankeschön sagen für Dein Sein und die vielen Beiträge. Ich stehe gerade an einer (für mich) großen Lebenskreuzung und mache es dann auch so, dass ich überlege was ich darüber am Ende meines Lebens fühlen könnte, wenn ich es nicht tue und in der vermeintlich sicheren, bequemen Komfortzone bleibe. Deine Worten haben mich gerade noch mal sehr bestärkt mutig meinen eigenen Weg zu gehen und vergangene Erfahrungen „neutral“ als solche zu sehen und nicht als ‚Dauerwiederholungsoption‘.
Ein ganz lauter, dankbarer Gruß an Dich!
Lynette
Danke dir, liebe Lynette, für deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass ich dich mit meinen Worten bestärken konnte, mutig deinen eigenen Weg zu gehen. Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Kraft dafür, denn die braucht es, das erlebe ich auch immer wieder auf diesem Weg.
Ganz herzliche Grüße
Silke
Vielen Dank für den Artikel! Das klingt spannend. Und ich lebe auch noch in Frankfurt – wie passend. Werde mir das mal merken und bei Gelegenheit dort teilnehmen.
Viele Grüße
Wie schön, vielleicht sehen wir uns dann ja mal dort.
Herzliche Grüße
Silke
Liebe Silke,
was für eine geniale Aktion, so ein Death-Café… Erst lese ich hier bei dir davon, dann schlage ich eine Zeitschrift auf und finde genau dieses Thema dort wieder… Ein Zeichen? ;O)
Hier im Norden gibt es jedenfalls auch solche Veranstaltungen:
http://deathcafe.com/deathcafe/4815/
Death Café Hamburg – das nächste am DO, 11.5. um 19h
Vielleicht schnuppere ich dort einmal vorbei, wenn ich es schaffe.
Zu deinem Punkt „bewusst leben“ fällt mir ein älterer Blogbeitrag von dir ein: Feiere was du hast – auch wenn ich es nicht mehr habe
https://in-lauter-trauer.de/feiere-was-du-hast
Es macht mich gerade sehr traurig, was im Freundeskreis so alles passiert. Beziehungen zerbrechen… Okay, das passiert (und manchmal ist es eben auch gut so)… Aber WIE es passiert, entsetzt mich ganz schön.
Was zum Himmel tun sich Menschen an, die sich doch mal von Herzen geliebt haben?!? Wo ist der Respekt, die Ehrlichkeit, und vor allem: die Wertschätzung dessen, was man gemeinsam hatte???
Wenn man sich bewusst macht, welch ein Geschenk es ist, gemeinsam ein Stück des Lebenswegs zu gehen, kann man dann vielleicht leichter den jeweils anderen in Frieden ziehen lassen? Es ist doch schmerzhaft genug, wenn man feststellen muss, dass die Beziehung nicht funktioniert und es besser ist, sich zu trennen…
Mir wurde die Chance genommen, meine Beziehung zu hegen und zu pflegen. Ich hatte keine Wahl. Sie endete mit dem Tod. Da macht es mich ganz schön wütend, wenn Menschen, die eine Wahl haben, diese nicht nutzen…
Für die Zukunft habe ich mir fest vorgenommen, mehr darauf zu achten, Beziehungen (egal, ob Freundschaft, Kollegen, Liebe,…) in Ehrlichkeit und Wertschätzung zu pflegen.
Annehmen, was da ist… und akzeptieren lernen, was nicht mehr da ist… Jeden Tag eine kleine Herausforderung… LEBEN!
Liebe Grüße,
Anja
Danke dir für deinen Kommentar, liebe Anja.
Wie schön, dass es in Hamburg auch ein Death Café gibt! Berichte gerne mal wie es dort war wenn du hingehst 🙂
Das ist ein wirklich schöner Vorsatz .. Beziehungen bewusster zu leben, in Ehrlichkeit und Wertschätzung. Ich wünsche dir von Herzen, dass dir das immer öfter auch gelingen wird. Da ist es wieder die Dankbarkeit, die uns helfen kann, dass wir erfahren haben, dass eben nicht alles selbstverständlich ist.
Liebe Grüße zurück
Silke
Vielen Dank für den wundervollen Beitrag.
Dieser hat mich sehr berührt u tief aus meiner Seele gesprochen. Seit meinem Achtsamkeitskurs habe ich gelernt, einzelne Momente wahr und wichtig zu nehmen. Meine Zeit mit meiner Tochter ist mir sehr kostbar geworden.
Einen Stammtisch gibt es bei uns in Wülfrath, soweit ich weiß, nicht. Jedoch ein Trauercafe.
Danke dir, liebe Julia, für deinen Kommentar. Wie schön, dass du deine Zeit mit deiner Tochter heute ganz anders wertschätzen und wahrnehmen kannst. Was ist das für ein Achtsamkeitskurs, den du gemacht hast?
Und hast du das Trauercafé bereits besucht?
Herzliche Grüße
Silke
Hallo Silke, ich weiss nicht, ob deine Seite noch aktuell ist, aber ich habe es eben erst jetzt gelesen…
Wie geht es dir heute damit, ist es immernoch genauso, oder hat sich was geändert?!?
Es ist wirklich sehr schön geschrieben, aber bei mir, ehrlich gesagt, fehlt die Akzeptanz, das alles so ist wie es ist, und das man den Tod akzeptieren MUSS, weil er eben kommt, irgendwann, oder bald, oder Morgen!!!
Bei mir ist es so das, seitdem ich mir bewusst geworden bin, das es auch mich treffen wird, ich nichts mehr genießen kann und ich an nichts anderes mehr denken kann, weil in jeder Sekunde, wenn ich was tu, der Gedanke kommt, das ich es irgendwann nicht mehr tun kann…
Ich weiss, jeder sagt immer, haja, dann mach das was du schon immer machen wolltest, genieß dein Leben, es kommt sowieso, ob glücklich oder unglücklich, aber wenn ich dann irgendwas mach, z.b. an einer Blume rieche, dann riech ich daran und es ist schön, aber dann ist es ja schon wieder vergangen und man kommt trotzdem jeden Tag dem Tag X näher und das lähmt gewaltig!!! Das Leben verliert dadurch sehr an Bedeutung!!!
Ich bin nicht gläubig und für mich ist diese Vorstellung, das ich unter der Erde liege, grausam!!! Meditation klappt bei mir überhaupt nicht und ich kann auch nichts daran abfinden, mein „Ego“ aufzulösen oder sonst irgendwas…
Ich liebe mein Leben, ich liebe diese Welt und gerade deshalb finde ich es grausam, irgendwann nicht mehr auf dieser Welt zu sein, nichts mehr spüren, nie wieder etwas sagen können, nicht miterleben können, was in der Zukunf noch kommt oder was sogar möglich ist in Bezug auf den Tod, einfach weg, diese Tatsache ist für mich sehr schlimm…
Tut mir leid, wegen dem ganzen, wir kennen uns nicht, und ich schreibe hier öffentlich sehr persönliche Sachen was mich sehr beschäftigt!! Vielleicht weisst du etwas mehr, oder kannst mir n Tip geben, was ich noch nicht weiss, was man in so einer Situation überhaupt noch tun kann…
Ich bedanke mich im vorraus, auch wenn mir höchstwahrscheinlich dabei keiner helfen kann, weil es eben eine Tatsache ist und noch keiner es geschafft hat da „heil“ raus zu kommen…….
Hallo Cengiz,
keine Ahnung, ob du das noch liest und wie es dir heute geht. Habe deinen Kommentar eben entdeckt und er ist ja schon fast 3 Jahre alt. Mich erschreckt die Vortellung auch, hier weg zu müssen! Ich kann dich gut verstehen in dem Punkt. Aber wir müssen nicht als toter Körper in der Erde liegen. Ich möchte verbrannt werden und dann in einem Friedwald beerdigt werden. Die Urnen, die sie dafür nehmen, lösen sich in wenigen Wochen auf und dann werden die Moleküle, die mal ich waren, von den Bäumen und den anderen Pflanzen im Wald aufgenommen. Ich werde in den Kreislauf der Natur zurückkehren. Mich tröstet das. Ich weiß nicht, ob dir dieser Gedanke auch helfen kann. Ich hoffe es und hoffe, dass er dich erreicht – und dass du inzwischen auch schon für dich tröstliche / helfende Gedanken bzw. einen guten Umgang gefunden hast und das Leben und die Tätigkeiten und Erlebnisse, die du machst und hast, wieder genießen kannst!
Liebe Grüße!
Andrea