Heute möchte ich versuchen, Worte zu finden an einer Stelle, an der plötzlich so viel geschwiegen wird. Drei Jahre lang lief es die Nachrichten rauf und runter und hat unzählige Gespräche dominiert. Ihr wisst schon, Corona, wir konnten allein das Wort wahrscheinlich alle irgendwann nicht mehr hören. Aber jetzt, jetzt ist da auf einmal ein komisches Schweigen. Jedenfalls mir kommt es komisch vor. Aber wie „In lauter Trauer“ schon sagt, ist es auch nicht gerade mein Ding, still vor mich hin zu fühlen oder so zu tun als wäre nichts gewesen. Warum also schweigen wir jetzt?
Da haben wir alle individuell und gemeinsam auf vielen unterschiedlichen Ebenen eine wirklich skurrile und herausfordernde Zeit erlebt. Und reden nicht mehr drüber. Eine Zeit mit einer Vielzahl an Verlusten. Und damit meine ich nicht „nur“ die offensichtlichen Verluste, bei denen Menschen ihre eigene Gesundheit oder geliebte andere Menschen verloren haben, auch wenn diese allein schon ausreichend wären. Darüber wurde geredet, allerdings eher auf einer Ebene, die Angst gemacht hat, als auf einer, die eine wirkliche Auseinandersetzung und eben auch Trauer möglich gemacht hätte. Das allein ist ein Thema, über das ich viele Worte finden könnte. Mich beschäftigen heute vor allem auch die vielen Verluste dazwischen, die jede und jeder von uns erlebt hat. Verluste von Freunden oder Familienangehörigen, weil die Meinungen und Sichtweisen zu weit auseinandergingen oder einfach weil der Abstand über eine so lange Zeit zu viel Distanz geschaffen hat. Viele von uns haben ihr Vertrauen verloren – Vertrauen in die Medizin oder die Regierung, in das, was eben noch selbstverständlich schien. Manche haben Jobs und Sicherheit verloren, andere womöglich den Anschluss an die Gesellschaft. Es dauert jetzt noch länger, einen Therapieplatz zu bekommen, Reha-Kliniken und insbesondere Kliniken und Angebote für Kinder- und Jugendliche sind überlastet. Ich erlebe viele Menschen in deutlich höherer Anspannung als zuvor. Die letzten Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Und dann muss man auch noch ständig aufpassen, was man sagt, weil man jederzeit die eine oder andere Seite verärgern oder verletzen könnte. Das merke ich selbst jetzt beim Schreiben. Mir persönlich als harmonieliebender Mensch gehen insbesondere die vielen Anfeindungen und Streitereien sehr nach. Es war kaum möglich, neutral zu bleiben, selbst wenn ich mich innerlich nie nur einer Seite zugehörig gefühlt habe.
Eine wirklich skurrile Zeit. Niemals hätte ich mir das vorher vorstellen können. Wieso reden wir nicht darüber? Wieso gibt es keine oder nur ganz wenige Möglichkeiten der Aufarbeitung? Wo können wir offen aussprechen, was uns in diesen Jahren belastet hat, ohne Angst zu haben, bei unserem Gegenüber möglicherweise auf Abwehr zu stoßen? Welchen Unterschied macht es, auf welcher „Seite“ wir standen, wenn wir doch alle irgendwie als Menschen betroffen waren? Und vor allem: Wie können wir wieder aufeinander zugehen und vielleicht sogar miteinander trauern, um all das, was wir – jeder für sich und alle gemeinsam – verloren haben?
Manchmal kommen mir die letzten Jahre so surreal und weit weg vor, dass ich denke, dass ich es gar nicht wirklich erlebt habe. Habe ich wirklich vor halb leeren Trauerhallen gestanden und Menschen, die weit auseinander saßen, von ihren Verstorbenen erzählt, während sie weinend versuchten, sich unter ihren Masken die Nase zu putzen? Es ist ein Bild, das sich in mir eingebrannt hat. Eins von vielen Bildern der letzten Jahre, die ich auch in meiner Arbeit als Bestatterin gesehen habe.
Wohin mit diesen Bildern, den Wunden und Verletzungen? Mir hilft es, darüber zu reden und in Gemeinschaft zusammen zu kommen. Deshalb wollen wir bei uns in Friedberg einen regelmäßigen Gesprächskreis einrichten. Und wir haben Daan van Kampenhout eingeladen, der bereits im letzten Jahr Seminare zur Aufarbeitung der Wunden dieser Zeit angeboten hat. Durch den Tod seines Vaters mitten im ersten Lockdown hat er selbst erfahren, was es bedeutet, bei der Trauerfeier eines geliebten Menschen nicht dabei sein zu können. Ich durfte bei einem seiner Seminare in München dabei sein und habe so viel für mich daraus mitgenommen, dass ich ihn kurzerhand direkt zu uns eingeladen habe. Daan hat mit seiner Methode „Systemic Ritual“ eine Möglichkeit geschaffen, besonders Themen von gemeinsamer Krise und Trauma auf individuelle und kollektive Art anzusehen und heilsam zu bewegen. Er vereint darin Elemente aus klassischen Familienaufstellungen und schamanischen Ritualen. Mich fasziniert vor allem seine Ruhe, Neutralität und Weitsicht, mit der er jedem Thema die nötige liebevolle Aufmerksamkeit, aber auch die behutsame Einordnung in das große Ganze und wiederkehrende Erleben von uns als Menschen verschafft. Ich bin so begeistert von diesem Ansatz, dass ich mich entschieden habe, einige Weiterbildungen bei ihm zu belegen. Ich freue mich daher riesig, dass er am 23. September bei uns in Friedberg sein wird.
Wenn dich das Thema berührt, du selbst merkst, dass dich die Verluste oder ungelöste Themen der letzten Jahre noch beschäftigen, oder auch wenn dein Blick eher auf gesellschaftlicher Ebene ist, bist du herzlich eingeladen, an dem Seminar teilzunehmen. Natürlich kannst du auch gerne kommen, wenn dich einfach das „Systemic Ritual“ und Daans Arbeit interessiert. Alle Infos zur Veranstaltung findest du hier. Und nachfolgend findest du noch ein Gespräch von mir und Daan über unsere Motivation zur Veranstaltung und warum und für wen es jetzt hilfreich sein könnte, sich nicht am Schweigen zu beteiligen. Das Gespräch auf Youtube ist auf Englisch, die Veranstaltung wird simultan auf Deutsch übersetzt werden.
Ich würde mich sehr freuen, dich bei dem Seminar zu sehen. Und natürlich freue ich mich auch, von dir zu hören, was dich in Bezug auf die Verluste der letzten Jahre beschäftigt und was es deiner Meinung nach für eine Aufarbeitung brauchen könnte. Welche gemeinsamen Rituale könnten wir schaffen, um der Trauer Ausdruck zu verleihen? Welche Rituale oder Schritte wären nötig, um wieder aufeinander zugehen und alte, vielleicht verletzte Bindungen wieder herstellen zu können? Welche Wunden aus dieser Zeit trägst du noch in dir?