Mit dem sein was ist und fühlen, was gefühlt werden will

Das Leben kann so schmerzhaft sein. Immer wieder. Gerade wenn wir denken, wir haben doch eigentlich genug Schmerz erlebt und es könnte jetzt wirklich einmal gut sein, kommt die nächste Welle um die Ecke, schmeißt uns das Leben wieder etwas in den Weg, was wir so gar nicht haben wollen. Der Verlust einer geliebten Person, unserer Arbeit, unserer Identität, Tod, Trennung, Krankheit. Dann können wir uns fragen, warum uns das geschehen muss. Warum ich? Warum du? Warum wir? Warum kann es nicht endlich einfach gut sein? Warum dauert es so lange, warum ist es immer noch nicht wieder gut? So oft habe ich mich auf meinem Weg gefragt, was ich wohl falsch mache, wieso gelingt es mir nicht, einfach dauerhaft glücklich zu sein? Und was würde das eigentlich bedeuten?

Dabei stemmen wir uns immer wieder gegen das Leben. Wollen, dass es anders ist, wollen, dass es so ist, wie wir es uns vorstellen. Woher meinen wir denn zu wissen, wofür die Dinge gut sind? Was, wenn alles genau so sein soll wie es gerade ist? In jedem Moment?Was, wenn es das Leben immer und zu jeder Zeit gut mit uns meint? Was, wenn es meine Aufgabe ist, das Leben so anzunehmen wie es ist? Einfach nur mit dem zu sein, was gerade ist? Und in jedem Moment das zu fühlen, was gerade gefühlt werden will?

Mich selbst und meine Gefühle wieder fühlen zu können ist das größte Geschenk, was mir meine Trauer in den vergangenen Jahren gemacht hat. 

Ich habe schon öfter davon geschrieben, merke aber auch, dass ich es gar nicht oft genug sagen kann. Es ist so einfach und doch so ungewohnt. Fühlen, was da ist, im Moment verweilen, auch und gerade wenn er so schmerzhaft ist. Fühlen, wie der ganze Körper schmerzt, wirklich in diesem Körper anwesend sein und nicht in den Kopf fliehen. Für mich hat das ganz neue Welten eröffnet. In unserer Gesellschaft sind wir so auf den Verstand fokussiert. Als könnte er uns vor allem Bösen bewahren, immer gut durchs Leben führen, als wären wir irgendwie besonders stark, wenn wir besonders gut denken können. Denken ist super, keine Frage. Es kann uns aber nicht das Fühlen abnehmen. Wir sind nicht mit diesem Körper auf die Welt gekommen, um dann nur im Kopf zu leben. Anstatt darüber nachzudenken, wie traurig etwas ist, können wir wieder lernen, es wirklich zu fühlen. Voll einzutauchen in die Traurigkeit, um dann nach einer Weile wieder aufzutauchen. Friedlich und ruhig. Und ja, das braucht Mut, immer wieder. Und es ist auch total okay, wenn wir den nicht immer aufbringen. Auch das darf gefühlt werden: Das Gefühl, jetzt nicht fühlen zu wollen. Wir dürfen uns Pausen gönnen, uns dem Fühlen verweigern, fliehen, ablenken, uns ein wenig von unserem eigenen Körper distanzieren, in den Kopf flüchten. Es geht nur nicht auf Dauer, zumindest hat es immer einen Preis. Der Schmerz mag dann in dem Moment weggedrückt sein, weniger intensiv, scheinbar besser aushaltbar. Aber er bleibt auch, bleibt im Körper und geht immer mit. Dumpf schmerzend, subtil beeinflussend. Er kann sich dabei festsetzen und uns dauerhaft schaden, ja, richtig krank machen. Ich weiß, es ist so schwer, aber am anderen Ende des Schmerzes wartet immer ein Stückchen Heilung, ein wenig Frieden und Erleichterung.

Es gibt keinen Weg vorbei an der Trauer oder am Schmerz, es gibt keine Abkürzung, nicht dauerhaft. Oftmals haben wir Angst, die Gefühle wirklich zuzulassen, weil wir denken, dass wir dann für immer so fühlen müssen. Und doch wissen wir auch, dass es nicht funktioniert, positive Gefühle festzuhalten. Wieso also sollten die „negativen“ Gefühle für immer bleiben? Es liegt nicht in der Natur von Gefühlen, dauerhaft gleichbleibend da zu sein. Sie wollen gefühlt werden, uns durchfließen, und wieder gehen. Und in jedem Moment haben wir immer nur diesen und das jetzige Gefühl. Bis zum nächsten Moment, in dem schon wieder alles völlig anders sein kann.

Was also ist jetzt gerade da bei dir? Welche Gefühle sind da und wo im Körper fühlst du sie? Und wie kannst du jetzt, hier und heute, genau damit sein, was gerade ist?

Foto: pixabay

1 Gedanke zu „Mit dem sein was ist und fühlen, was gefühlt werden will“

  1. Liebe Silke,

    ich sitze in der Küche einer guten Freundin, bei der ich heute übernachte.
    Von schlafen kann allerdings keine Rede sein. Gerade hat mich die Trauer überwältigt. Meine Mama ist vor bald einem Jahr gestorben. Ich vermisse sie so sehr, alles zieht sich zusammen – von der Kehle aus durchdringt der Schmerz meine gesamte Existenz. Ich fühle eine grenzenlose starke Liebe zu ihr, die mich umarmt und wärmt und die mich gleichzeitig zu zerreißen droht.

    Im Alltag hat sich eine dumpfe Taubheit eingeschlichen, wie eine Art Schutzdamm zwischen der Realität und mir. Aber ich erlebe es auch so, wie du es beschreibst: Wenn ich die Trauer voll zulassen, mich in sie fallen lassen kann und nahezu darin untergehe, ist das unendlich hart und schwer auszuhalten. Doch empfinde ich im Anschluss eine Erschöpfung, die auch von einem gewissen Frieden erfüllt ist. Ich fühle mich dann meiner Mama ganz nah, kann die Situation besser tragen und “fühlen“.

    Ich danke dir vielmals für deine vielen Beiträge und deine Fähigkeit, den unfassbaren Gefühlen Worte und Ausdruck zu verleihen. Wenn ich deine Artikel lese, fühle ich mich verstanden und gestärkt.

    Herzliche Grüße!

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