Keine Zeit für gemeinsame Zukunft

Für mich und die meisten in meinem Umfeld verlief das Leben relativ gradlinig. Zumindest rückblickend:
Wir sind zur Schule gegangen, haben das ein oder andere Studium oder eine Ausbildung absolviert und früher oder später den ersten Job gefunden. Dazwischen waren ein paar Beziehungen, die nicht gehalten haben. Bei dem einen waren es mehr, bei dem anderen weniger. Und irgendwann fanden viele von uns den Partner, mit dem es ’ernst‘ wurde. Da wurde dann eine gemeinsame Wohnung gesucht und Schritt für Schritt an der gemeinsamen Zukunft, am gemeinsamen Leben gebaut.

So oder so ähnlich verlief es zumindest bei den meisten, die ich kenne. Und bei mir selbst. Nach einer gescheiterten Beziehung und ein paar Jahren Singledasein trat er auf einmal in mein Leben: Der Mann, mit dem ich alt werden wollte. Damals war ich 26. Irgendwann kamen dann auch die ersten Hochzeitseinladungen im engeren Freundeskreis. Spätestens als ich auf einer davon den Brautstrauß an den Kopf bekam, fing ich an, über unsere eigene Hochzeit nachzudenken. Richtig geplant haben wir nichts. Er war noch nicht einmal 30 Jahre alt. Wir hatten noch so viel Zeit, so viel Zukunft vor uns. Es gab gar keinen Grund, sich mit irgendetwas zu beeilen.

Alles war gut, so wie es war, weil wir zusammen waren. Dachten wir. Bis unsere gemeinsame Zukunft auf einmal von einer Sekunde auf die andere vorbei war.

Das ist nun eineinhalb Jahre her. Vier Jahre waren uns gemeinsam vergönnt. Ich bin dankbar für diese Zeit, dankbar, ihn in meinem Leben gehabt zu haben. Dankbar für die Liebe, die ich durch ihn erfahren durfte. Mit dieser Dankbarkeit schaue ich nach vorne auf der Suche nach meinem ’neuen‘ Leben. Und dennoch bleibt das dumpfe Gefühl, um unsere gemeinsame Zukunft betrogen worden zu sein.

Wie wäre unsere Hochzeit gewesen?
Hätten wir Kinder gekriegt?
Wie wäre er als Vater gewesen?
Wo wären wir hingezogen, wo und wie hätten wir gelebt? Welche Reisen hätten wir noch zusammen unternommen? Und wären wir wirklich noch lange zusammen geblieben?

Mein Herz sagt ganz klar ’ja‘, aber erleben werde ich es nie.

Während meine Freundin zusammen mit ihrem Mann Ausschau nach dem besten Kinderwagen-Modell gehalten hat, habe ich unsere gemeinsame Wohnung aufgelöst und bin zurück zu meinen Eltern gezogen.

Während um mich herum alle ihre nächsten Karriereschritte planen, habe ich meinen Job gekündigt und bin auf der Suche nach mir selbst und meiner Aufgabe im Leben. Das Geld, das ich für unsere gemeinsame Eigentumswohnung zur Seite gelegt hatte, gebe ich jetzt für mich aus. Für eine berufliche Auszeit, um durchzuatmen und mich neu zu sortieren.
Die Wohnung wollten wir direkt nach unserem gemeinsamen Urlaub, aus dem er nicht mehr zurückkehren sollte, suchen und kaufen. Für mich ist sie ein Symbol für alles, was wir noch gemeinsam vorhatten, aber nicht mehr zusammen erleben dürfen.

Nach vier Jahren der zweisamen Zukunft bin ich nun zurückgeschmissen auf mich selbst. Bin ich jetzt wieder Single?
Ich verwende gerne den Begriff ’Witwe‘, den andere eher scheuen. Weil ich gesehen werden will in meinem Verlust.
Weil ich ernstgenommen werden will als diejenige, die ihren Mann verloren hat. Nicht bloß als die Frau mit dem tragischen Schicksal, die aber zum Glück noch so jung ist, dass sie noch mit einem anderen Mann glücklich werden und Familie gründen kann. Als ob dadurch mein Schmerz kleiner wäre, als ob es bloß darum gehen würde, Ersatz zu finden. Für die Liebe ist es egal, ob man vier, zehn oder dreißig Jahre Zeit zusammen hatte.

Wie es jetzt weitergeht? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ich diese Aufgabe annehmen und mir ein neues Leben aufbauen möchte. Schritt für Schritt und mit ihm in meinem Herzen.

(Geschrieben im Herbst 2014 für den Newsletter von verwitwet.de)

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