Heilung in der Trauer – Ist das möglich?

Heilung darf geschehen

Die Frage nach Heilung beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Was bedeutet das, „heil“ zu sein oder geheilt zu werden? Was bedeutet Heilung? Ist es möglich, dass wir nach einem schweren Schicksalsschlag, nach dem Tod eines nahen, geliebten Menschen so etwas wie Heilung erfahren? Wenn ja wie und wie lange wird es dauern? Es heißt, die Zeit heile alle Wunden. Zugleich können wir in vielen Berichten und Büchern von Trauernden lesen, dass dies nicht wahr sei, dass Trauer nie vorbeigehe, dass man nur lernen kann damit zu leben. Was stimmt denn nun?

Ich möchte dir von einer ganz aktuellen Erfahrung von mir erzählen: Julians Geburtstag. Wie du vielleicht mitgekriegt hast, wäre er am 27. Februar 33 Jahre alt geworden. Ich hatte den Tag als Termin für “Alle reden über Trauer” ausgesucht und das auch so kommuniziert. Viele Menschen wussten also davon und ich habe viele liebe Nachrichten und Kommentare erhalten, in denen auf ihn und seinen Geburtstag Bezug genommen wurde. Einige Leser wünschten mir viel Kraft für den Tag, haben mir ganz mitfühlend geschrieben wie besonders dieser Tag sicher für mich sei. Ich war ganz überwältigt davon, dankbar für diese liebevollen Zeilen, für all die Menschen, die an Julian und mich gedacht haben. Und zugleich war da etwas, das ich zunächst nicht ganz greifen konnte. Ein Gefühl in mir, dass etwas nicht stimmte. So viele liebe Nachrichten und ich fühlte mich zunächst unwohl damit – wie konnte das sein? Erst am Abend wurde mir klar: Zwischen den Zeilen las ich heraus, dass es ein schwerer Tag für mich sein müsste. Doch die Realität war ganz anders: Ich war kein bisschen traurig. Wochenlang schon hatte ich mich auf den Tag gefreut, war gespannt und aufgeregt wie die Aktion wohl verlaufen würde. Und dann ging es mir einfach gut. Nunja, bis auf den Schlafmangel, weil ich noch bis in die Nacht Zusendungen für die Aktion bearbeitet und an der Webseite gebastelt hatte. Ich war also todmüde, aber zugleich einfach glücklich. Es war überhaupt kein schwieriger Tag, ganz im Gegenteil. Ein besonderer, ja, aber kein schwieriger. Mir wurde bewusst, dass ich mit all den liebevoll mitfühlenden Nachrichten das Gefühl bekommen hatte, es könnte etwas falsch sein mit mir. Weil ich so gar nicht traurig war. Und das obwohl ich selbst immer betone, wie wichtig es ist, die Traurigkeit zuzulassen und zu fühlen. Ich fühlte also in mich hinein und versuchte herauszufinden, ob ich etwas verdrängte. Hatte ich mich einfach nur durch die Aktion so gut abgelenkt und leicht überarbeitet, so dass ich es einfach nicht bemerkte, was in mir los war? Würde es mich in den Tagen darauf einholen, dann aber so richtig? Nein. Tatsächlich ging es mir einfach gut. Und das an seinem Geburtstag, an den Tagen davor und danach. Undenkbar noch vor einem Jahr.

Für mich ist genau das Heilung. Heilung, an die ich vor drei Jahren, als ich zum ersten Mal seinen Geburtstag alleine feiern musste, noch nicht glauben konnte. Für mich war damals klar: Das wird immer ein schwieriger Tag für mich sein. Nun merke ich: Es wird immer ein besonderer Tag sein, aber nicht unbedingt schwierig. Das heißt auch nicht, dass ich nie mehr traurig sein werde an diesem Tag. Und doch fühle ich, dass etwas heilen durfte. Dass ich wieder ein Stückchen mehr im Frieden bin. Im Frieden mit der Welt, mit mir und mit seinem Tod.

Und so geschieht Heilung in kleinen Schritten. Es gibt nicht den einen Tag, an dem auf einmal alles “heil” ist. Es gibt auch nicht die eine Methode, die alles heilen kann. Es gibt keine Bedienungsanleitung dafür und auch keinen festen Zeitrahmen. Es geht nicht schnell nur weil wir uns ganz besonders anstrengen und alles „richtig“ machen. Ich glaube auch nicht, dass es überhaupt darum geht, in diesem Leben an den Punkt zu kommen, wo alles in uns komplett geheilt und ganz ist. Manches wird heilen, manchmal werden alte Wunden wieder aufreißen und immer wieder wird es neue kleine und größere Wunden geben. Genau das ist Leben. Manchmal werden wir das Gefühl haben, wir sind mit einem Thema “fertig” und im Frieden und plötzlich holt es uns doch wieder ein und wir dürfen einen nächsten Schritt damit gehen. Wichtig ist nur, dass Veränderung immer möglich ist. Wir müssen nicht verharren mit Wunden, die niemals heilen. Und zugleich heilen sie eben auch nicht ganz automatisch nur weil Zeit vergeht. Trauer geht nicht vorbei in dem Sinne, dass es irgendwann so wäre, als wäre nichts geschehen. Aber sie darf irgendwann in den Hintergrund treten und Platz für dich machen. Platz für dein Leben. Platz für neues Glück und neues Leben. Genau das bedeutet für mich Heilung. Zu lernen, damit zu leben, ist für mich ein erster, ganz wichtiger Schritt. Aber es darf weitergehen, es darf weiter heilen als nur bis zu diesem Punkt. Was uns aus meiner Sicht manchmal daran hindert, kannst du hier nachlesen: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr leide?

Zu diesem Artikel über Heilung hat mich Constanzes Erwähnung des Themas in ihrem Beitrag zu “Alle reden über Trauer” (Tod 3.0 oder: Was FIGHTCLUB mit Trauer zu tun hat) inspiriert. Ganz am Ende ihrer Liste, in der sie aufzählt, was ihr bisher in ihrer Trauer geholfen hat, erwähnt sie den Satz “Ich vertraue darauf, dass es heilen wird.” Sie beschreibt, wie er ihr Hoffnung macht, Hoffnung darauf, dass es “eines Tages, ‚heil‘ sein könnte, irgendwie integriert und voller Frieden”. Für mich ist es genau das: integriert und voller Frieden. Mit traurigen und auch herausfordernden Momenten, aber mit einem neuen Grundgefühl des Friedens.

Einen weiteren Beitrag zum Thema gab es von Martina Pokorny: Heilung

Wie siehst du das Thema Heilung und wie erlebst du es in deiner eigenen Trauer und auf deinem Weg? Was bedeutet es für dich, „heil“ zu sein und was hilft dir dabei zu heilen? 

   
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5 Antworten

  1. Liebe Silke, seit einiger Zeit verfolge ich deine Beiträge nun und fühle mich dadurch wieder etwas weniger alleine mit all diesen Gedanken und Gefühlen, die zu der Situation und der Trauer gehören.
    In der ersten Zeit konnte ich nur den Kopf schütteln über Andeutungen, dass alles wieder gut werde oder die Zeit alle Wunden heilen würde. Ja, man möchte etwas positives sagen. Aber es klang, als würden sie denken, es würde irgendwann keine Bedeutung mehr haben. Als müsste man bestimmte Schritte gehen und dann sei es vorbei, weg, abgearbeitet. Gleichzeitig mischte sich mit der Zeit immer wieder ein komisches Gefühl ein, wenn ich einen guten Tag hatte, so etwas wie ein schlechtes Gewissen, ähnlich wie du es beschreibst. Lachen und Freundlichkeit sind mir wichtig, aber andere missdeuten es oft damit, dass alles in Ordnung sei oder ich meinen Mann nicht vermissen würde. Ja, man sollte nicht so viel auf die Meinung anderer geben – aber das ist im Alltag, wenn man nicht alleine sein möchte, gar nicht so einfach. Vieles ist „anders schön“ – nicht so, wie vorher, aber doch auch okay oder sogar gut. Mit ihm wäre es ganz klar besser, aber ich habe mich schon etwas „dran gewöhnt“, dass es eben nicht so ist und vergleiche nicht mehr ständig, sondern lasse manches einfach so stehen und halte die guten Momente fest, präge sie mir ein.
    Inzwischen kann ich vieles besser einordnen. Heilung bedeutet für mich, dass die offene Wunde, die die ganze Zeit weh tat, brannte, mich nicht wie vorher weiterleben ließ, langsam verheilt. Sie wird eine (herzförmige?) Narbe hinterlassen, die immer bleibt, mich in bestimmten Situationen immer von anderen unterscheiden und einen großen Einfluss auf mein weiteres Leben haben wird. An manchen Tagen spüre ich es kaum, an anderen Tagen juckt und kribbelt es oder tut weh. Manchmal verteufle ich die Trauer, manchmal hüllt sie mich schützend ein und manchmal bin ich einfach nur traurig. Manchmal ist sie offen sichtbar, manchmal mein Geheimnis. Heilung bedeutet für mich, dass sie ein Teil von mir ist und mich begleitet, aber nicht mehr vorherrschend mein Leben bestimmt, ähnlich wie du es beschreibst. Dass das Verhältnis von guten und schlechten Tagen wieder ausgewogener ist, mein Leben neu sortiert ist. Noch bin ich dort nicht, doch ich hoffe, dass ich auf dem Weg dorthin bin…
    Ich freue mich immer wieder über Anregungen oder Denkanstöße für diesen Weg. Viele Grüße!

    1. Liebe Britta,
      ich fand Silke’s Beitrag auch sehr berührend und habe nun eben auch deinen Kommentar gelesen. Ich bin nicht in der Situation, dass ich einen lieben Menschen verloren habe. Dafür bin ich dankbar. Dennoch finde ich die Texte hier ganz wunderbar und heilsam, auch ohne große Trauer. Und deinen Kommentar fand ich auch wunderbar und berührend!!! Das wollte ich dir gerne sagen!
      Ich wünsche Dir weiter alles Gute auf Deinem Weg! <3
      Viele liebe Grüße!
      Andrea

  2. Liebe Silke,
    ich freue mich für Dich, dass Julians Geburtstag ein schöner Tag für Dich war. Alle Beiträge habe ich gelesen, unglaublich viel geweint und viel an Dich gedacht. Wir kennen uns nicht und doch fühle ich mich in Deinen Beiträgen und in vielen Kommentaren Deiner Leser so verstanden. Mein Mann ist vor dreieinhalb Monaten ganz plötzlich mit 57 Jahren verstorben. Er lag einfach tot im Bett und ich konnte ihm nicht mehr helfen. Seitdem fühle ich mich, als wäre ich mit ihm gestorben und ein Stück weit ist es genau so. Er ist nicht mehr da, unser gemeinsames Leben, unser schönes Leben, unser Lachen und unsere Pläne und Träume- alles mit ihm gestorben. Auf der Suche nach Trost und Hilfe bin ich recht schnell auf Deine Seite gestoßen und habe mich in Deinen Beiträgen wiedergefunden. Du hast die Worte geschrieben, die ich in meiner Sprachlosigkeit nicht hatte. Ich habe tolle Freunde und Familie und sie gaben und geben ihr Bestes, aber sie stoßen natürlich an ihre Grenzen. Auch sie trauern, aber ihre Trauer und ihr Schmerz sind anders. Ich habe meine große Liebe, meinen Seelenverwandter und meinen besten Freund verloren. Ich habe nicht geahnt, dass ich so einsam sein könnte. Und doch, auch das konnte ich mir zum Zeitpunkt seines Todes nicht vorstellen, dass es auch nur ansatzweise wieder Hoffnung für mich geben könnte. Aber es gibt sie und das ist vielleicht der erste Schritt. Meinen Frieden mit seinem Tod zu machen, davon bin ich weit entfernt. Noch verfluche ich den Tod, der mir so grausam das Liebste genommen hat, weil ich nicht weiß, wohin mit all meiner Liebe. Und so habe ich angefangen, mit ihm zu sprechen und ihm zu schreiben. Ich lerne, dass es nur so geht. Erstmal überleben, dann Stunde für Stunde und von Tag zu Tag weitermachen. Er ist physisch nicht mehr da, aber in meinen Gedanken und in meinem Herzen ist er immer bei mir. Die Liebe bleibt und das ist gut. Du hast hier etwas Wunderbares geschafft mit Deiner Seite, Deinen Beiträgen und auch mit der Aktion für Julians Geburtstag.
    Du findest Worte für Gefühle, die man eigentlich gar nicht beschreiben kann und darin finde ich so viel Trost, Kraft und Hilfe.
    Und dafür möchte ich Dir danken, von ganzem Herzen. Ich freue mich auf viele weitere Beiträge von Dir
    Liebe Grüße!
    Kirsten

  3. Eine gute Seite hast du da gebaut…………………Tabuthema……und doch so wichtig auch wenn so unbequem ist. Loslassen ist die fieseste Prüfung im Leben. Schreiben hilft………..stück für stück. Und wenn du jetzt auf dich schaust…..zurückblickst……..bist du stärker geworden.
    Suffizienz , was, was ist wirklich wichtig. Du kommst an bei dir und DU bist weiter als du denkst. Realisier das bitte
    Bleibt Gesund und alles Gute
    Ralph

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