Fünf Jahre

Liebe Silke von damals, liebes ICH vor fünf Jahren,

du liegst jetzt in diesem Krankenzimmer mitten in Pokhara. Es ist mitten in der Nacht. Ich sehe, wie du dich vor Schmerzen krümmst, wie du nicht mehr weiterleben willst, eigentlich einfach nur nicht glaubst, dass es möglich ist. Weil heute, an diesem 25. März 2013, dein geliebter Julian gestorben ist und mit ihm ein Teil von dir. Welch großer Schmerz. Unfassbar. Es darf nicht sein, es kann nicht sein. Aber du hast es gesehen. Wie gerne würde ich von hier aus, aus dem Heute, aus 2018 zu dir reisen und dich halten. Dir sagen: Es wird tatsächlich wieder gut. Völlig anders und wirklich gut. Aber wie absurd wäre das für dich, in deiner Situation? Ich glaube, du würdest nicht einmal mir, also dir selbst, ansatzweise glauben. Fünf Jahre ist es heute her, das ist ein Jahr länger als ich Julian überhaupt kannte in seinem Leben. Was für eine Angst hatte ich vor dieser Zeit. Davor, dass er einmal länger tot sein könnte als wir zusammen waren. Wie schrecklich diese Idee alleine für mich. Und jetzt, heute fühle ich mich so unglaublich lebendig. Vielleicht lebendiger als jemals zuvor. Ich habe gesungen und getanzt das ganze Wochenende. Wirklich. An Julians Todestag. Gemeinsam mit anderen. Ich habe es mir gut gehen lassen, ganz für mich. Ich habe mich selbst beobachtet dabei und so viel Glück und Freude empfunden. Darüber, dass das möglich ist.

Wie hättest du das damals ahnen können? Wie hättest du es mir damals glauben sollen? Habe ich nicht selbst noch so lange erzählt, dass die Trauer immer bleiben und Tage wie dieser Todestag immer irgendwie schlimm sein werden? Ich wollte das glauben, auf eine Art. Nicht weil ich so gerne leide, sondern weil es doch einfach auch irgendwie so sein muss. Oder etwa nicht? Wenn es mir an so einem Tag gut geht und ich einfach ganz für mich lebe und rausgehe und den Tag nicht einmal vordergründig in Gedenken an Julian verbringe, hieße das nicht ich hätte ihn vergessen? Oder wäre das nicht reine Ablenkung, Verdrängung?

Nein. Heilung darf geschehen. Und Julian ist nicht vergessen. Inmitten der Freude bleiben wir verbunden.

Weißt du, vor fünf Jahren hat mein neues Leben begonnen. Das konntest du damals nicht sehen, denn dein altes Leben zerbrach so komplett. Und doch begann das Neue zugleich. Wow. All der Schmerz, all das Leid. Und jetzt, jetzt darf ich die Freude hinter dem Schmerz entdecken. Pure Lebensfreude.

Danke, dass du damals nicht ganz aufgegeben hast. Danke für deinen, danke für meinen Mut. Danke, dass du diesen winzigen Funken Lebensmut behalten hast.

1 Gedanke zu „Fünf Jahre“

  1. Ja, jedes Ende ist der Beginn etwas neuem, anderem. Wir hier in diesem anderen Leben, und auch hier leben wir, erleben, lachen. Genauso kommen die Momente der Andacht in dieses andere Leben.

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