Es ist erstaunlich, wie viele Menschen etwas von Trauer um einen geliebten Menschen verstehen, ohne die Erfahrung eines solchen Verlusts bisher gemacht zu haben. Wo wir hingehen, begegnen uns Experten mit ihren weisen Ratschlägen. “Du musst jetzt nach vorne schauen.” “Mach doch mal mehr Sport, dann geht es dir besser.” “Du musst mehr unter Menschen gehen.” „Du darfst dich nicht so viel ablenken, du verdrängst zu viel.“ “Wie, du hast jetzt schon einen Neuen?? Das geht ja gar nicht!” “Du trauerst zu viel.” “Du trauerst zu wenig.”
Ich sage dir mal, was ich davon halte: Nichts. Nein, das stimmt nicht. In Wahrheit ärgert es mich. Wie können sich Menschen, die etwas nicht selbst erlebt haben, einbilden, sie wüssten, was der richtige Umgang damit wäre? Selbst wenn sie etwas ähnliches erlebt haben, wissen sie nicht, was gut für mich ist. Genauso wenig wie ich weiß, was gut für dich ist. Egal wie ähnlich unsere Geschichten, unsere Verluste sein sollten, sie sind immer anders. Und wir sind anders. Jede Trauer ist individuell, genau wie wir Menschen alle individuell sind. Wir sind auch nicht nur unsere akute Trauer. Wir sind so viel mehr. Vor dem aktuellen, großen Verlust gab es in unserem Leben bereits zahlreiche andere Verluste, Erfahrungen, vielleicht Traumata, Ängste, aber auch Freude und Glück. Wir sind alle einzigartig und das ist auch gut so. Es gibt keine Patentlösung dafür, wie wir mit einem Verlust umzugehen haben. Genauso wenig, wie es allgemein den einen richtigen, für alle gültigen Weg durch dieses Leben gibt. Es gibt kein “Du musst..” oder “Du solltest..”. Das einzige, worauf es ankommt, ist, dass du deinen Weg gehst, dass du auf dich hörst und jeden Tag neu herausfindest, was du jetzt gerade brauchst. Das kann dir niemand anderes sagen.
In der Trauer ist es oft ganz besonders schwierig, herauszufinden, was denn nun gut tut oder was es braucht. Wo ist er, dieser Weg, der meiner sein soll? Wie finde ich heraus, was ich brauche? Welche der vielen Stimmen ist die eine, auf die ich hören sollte? Es fühlt sich einfach alles falsch an, wirr, schrecklich und durcheinander. Mich hat das anfangs sehr verunsichert. Ich dachte, ich werde vielleicht verrückt. Ich dachte, ich müsste stark sein, wieder funktionieren, so wie es andere vielleicht von mir erwartet haben. Ich wusste nicht, was “normal” ist in der Trauer. Was “darf” ich denn und was nicht? Wie geht trauern überhaupt?
Bei all diesen Fragen wäre es schön, wenn jemand kommen und die Bedienungsanleitung zum Trauern vorbeibringen würde. Weil wir Menschen soziale Wesen sind, orientieren wir uns ganz natürlich immer wieder an dem, was andere sagen und vorleben. Ich kannte leider niemanden, der mir vorgelebt hätte, wie trauern geht. Wie Witwe sein mit 30 Jahren geht. Hinzu kam, dass ich möglichst niemanden belasten wollte. Ich wollte die anderen nicht mit in meine düstere Welt ziehen und ich hatte zudem wahnsinnige Angst, auch noch meine Freunde und mein Umfeld zu verlieren. Also wollte ich es ihnen recht machen. Vielleicht kennst du das auch von dir.
Die Sache ist nur: Wir können es den anderen nicht recht machen. Egal, wie du trauerst, es wird immer irgendwen geben, der es falsch findet. Verkriechst du dich daheim, weinst jeden Tag und versteckst dich vor der Welt, dann wird irgendjemand dir sagen, dass du wieder mehr unter Menschen musst, dass du dich nicht so gehen lassen sollst und dass der Verstorbene das doch bestimmt so nicht gewollt hätte. Wenn du dich ablenkst, rausgehst, Party machst, neue Menschen kennenlernst und vielleicht sogar hin und wieder echt Spaß hast trotz all der Trauer, dann wird es jemanden geben, der findet, du trauerst zu wenig und dass das überhaupt nicht angebracht ist.
Es ist egal, was du tust, es wird nie allen Menschen um dich herum gefallen. Manche werden vielleicht nicht einmal etwas sagen und sich stattdessen einfach nur von dir abwenden. Es hat nichts mit dir zu tun. Oft steckt dahinter Unsicherheit, Angst und dass viele Menschen sich nicht mit dem Thema Tod und Trauer auseinandersetzen können oder wollen. Das ist okay, es ist ihr gutes Recht, das nicht zu tun. Trotzdem musst du nicht auf die Ratschläge hören, die sie dir geben. Egal wie gut gemeint sie sind.
Es ist dein Leben. Deine Trauer. Dein Verlust. Du bist nicht “unnormal” oder falsch, weil du zu lange, zu kurz, zu intensiv oder zu zeitverzögert trauerst. Deine Reaktionen, so verrückt sie dir selbst vielleicht an manchen Tagen vorkommen mögen, sind ganz normale Reaktionen auf eine ganz unnormale und ver-rückte Situation. Ein Mensch, den du liebst, der dein Leben bereichert hat, ist nicht mehr da. Niemand außer dir weiß, wie sich das für dich anfühlt. Niemand außer dir weiß, was deine Trauer braucht, wie sie sich ausdrücken möchte. Es gibt niemanden, der den Weg für dich gehen kann. Übrigens auch kein Therapeut oder Trauerbegleiter. Sie alle können dich nur unterstützen auf deinem Weg und idealerweise den Raum für dich und deine Trauer öffnen. Gehen wirst du ihn am Ende selbst.

Ich freue mich, wenn du etwas zurück geben magst. Das geht via Paypal: https://www.paypal.me/InlauterTrauer
Oder ganz einfach direkt auf mein Konto:
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Ich danke dir von Herzen für die Wertschätzung meiner Arbeit, Zeit und Liebe, die ich in all das hier fließen lasse ❤
6 Comments
Liebe Silke,
darüber habe ich auch viel nachgedacht…. und mir war immer klar, nur ich weiß, wie ich mich fühle.
In den ersten Monaten , wo alles noch so wirr war und ich so am Boden zerstört, da habe ich immer noch versucht es den anderen zu erklären, auch mal „um mich gehauen“, also nicht lieb und nett.
Andererseits war ich manches Mal auch mit Recht so wütend, denn diese Ratschläge, Kommentare waren dann sehr wenig einfühlsam.
Mittlerweile weiß ich, dass ich nicht „falsch“ bin, durch die Trauergruppe weiß ich, dass auch die anderen, die so einen Verlust erlebt haben,Probleme mit den doch sonst so vertrauten Menschen haben und hatten.
Ich bin froh um diese neuen Kontakte, denn dort fühle ich mich am besten verstanden, muss mich nicht verstellen, erklären. Auch wenn wir alle individuell mit der Trauer umgehen… der Schmerz ist doch der gleiche.
Ich versuche nur mit den Menschen Kontakt zu haben, die mir guttun… ich erkläre mich auch nicht mehr.
Versuche herauszufinden, wie ich vom Gestern, mehr ins heute komme und vielleicht auch hoffen kann, dass das Morgen wieder Freude bringen kann…
Merke immer mehr, dass ich die Trauer , die Sehnsucht, die Zweifel, die Orientierungslosigkeit aushalten muss. Da hilft mir kein Widerstand…
Da kann mir auch niemand wirklich helfen… nur zur Seite stehen, wenn sie können und es vermögen.
Nichts war schwerer in meinem Leben, als meinen Mann zu früh zu verlieren.
Ein Teil von mir ist mit ihm gegangen…
Einen lieben Abendgruß
von Martina
Liebe Martina,
danke dir für deinen Kommentar. Es ist wirklich ein wichtiges Thema. Also ich finde es wichtig, darüber zu reden, damit sich niemand „falsch“ fühlen muss in seiner Trauer. Ich fand es anfangs total schwer zu begreifen, dass die Menschen, die mir vorher nah schienen, mich auf einmal nicht mehr verstehen konnten. Und völlig fremde Menschen, die ich in der Trauergruppe traf, verstanden mich fast ohne Worte. Aber so ist es, es ist schwer zu begreifen wenn man es nicht kennt. Und oft habe ich mich ja selbst nicht verstanden.
Ich schicke dir ganz viel Kraft.
Herzliche Grüße
Silke
Wer auf dem Strom des Lebens
seinen eigenen Weg finden will,
muß sich ein Boot bauen,
aus Eigensinn und Phantasie.
(Jochen Mariss)
Fand ich jetzt noch passend
LG M.
Liebe Silke! Ich bin durch Zufall auf Deinen Block gestossen und bin so froh, dass ich Deine Worte lesen kann. Ich habe zwar meinen Mann gottseidank an meiner Seite, habe aber schon andere, mir sehr nahestende und wichtige Menschen gehen lassen müssen. Deine Worte sagen mir, dass alles, was ich seitdem empfunden und auch teilweise entschieden habe, genau das war, was ich brauchte. Schön, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin, manchmal hat man nämlich genau diesen Eindruck. Freue mich, auch weiterhin von Dir zu lesen.
Ganz liebe Grüße Britta
Liebe Britta,
vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Es freut mich, dass du hierher gefunden hast und mich mit deinem Kommentar an deinen Gefühlen teilhaben lässt. An Zufall glaube ich ja schon länger nicht mehr 😉
Alles Gute für dich und liebe Grüße
Silke
„Du hättest“ ….ist noch so ein Satzanfang.
Meine Mutter ist am 5.3. verstorben. Sie lebte bei mir und meiner Familie und unser Verhältnis war alles andere als rosig. Sie war eine sehr eigensinnige, sturköpfige Frau. Es musste immer nach ihrer Nase gehen und nur sie hatte Recht. Von verbalen Attacken tief unter die Gürtellinie bis hin zu körperlicher Gewalt, lies sie nichts aus. Am Liebsten sprach sie 14 Tage lang nicht mit uns, nur damit jemand von uns klein bei gab.
Nun, sie hatte div. Krankheiten und zu letzt eine Blasenentzündung so verschleppt, dass die Bakterien ins Blut und von da aus in alle Organe gewandert sind. Die Organe die eh schon angegriffen waren (Herz, Nieren, Lunge) gaben nach 3,5 Wochen Kampf auf und sie starb.
Für sie war es eine Erlösung und für uns eine unglaubliche Erleichterung. Trauern tu ich trotzdem. Es geht mir Nahe, auch wenn uns Verhältnis schlecht war.
Meine beste Freundin aber, untersellt mir nicht zu trauern und Schuld am Tod meiner Mutter zu sein. Sie tut es indirekt, nennt es nicht beim Namen. Sie trauert leise. Man darf nicht über den Tod sprechen, ich bin eher laut. Spreche darüber, schreibe….
5 Tage nach dem Tod meiner Mutter sprach ich sie an, weil ich nichts von ihr gesehen und gehört habe. Wir wohnen gegenüber. Sie griff mich sofort an. Schrie, dass sie trauern würde, dass sie meine Mutter sehr gemocht hätte und wenn ich nicht trauern würde, sie es aber tun würde.
Ich war wie vor den Kopf gestoßen.
Sie brüllte und kreischte und plötzlich warf sie mir einen Satz an den Kopf, der mich bis ins Mark traf und mich sprachlos zurück lies.
Du hättest eher mit deiner Mutter zum Arzt gehen müssen. Ich habe gedacht sie kommt wieder aus dem KH raus.
Bäm. Mein Herz zog sich zusammen und mir fiel alles aus dem Gesicht. Sie schlug mich vor die Brust und brüllte immer das Selbe.
Ich bin gegangen mit den Worten, dass ich mir das nicht sagen lassen muss und das ich, trotz allem, alles für meine Mutter getan habe.
Sie entschuldigte sich später, aber ich kann das nicht vergessen. Ich „ziehe mir diesen Schuh nicht an“, aber es ausgerechnet von ihr vorgeworfen zu bekommen, von der besten Freundin, dass tut unendlich weh. Unser Verhältnis ist nachhaltig gestört. Ich kann ihr nicht mehr vertrauen oder von mir erzählen. Ihr verzerrtes Gesicht und ihre Stimme verfolgen mich bis in den Schlaf. Ich denke, dass die Freundschaft die längste Zeit eine Freundschaft war.
Wie du schreibst: Es ist mein Leben, meine Trauer…..ich gehe den Weg MIT meiner Familie – ohne meine Freundin – denn ihr kann ich, mit meiner Art zu trauern, eh nichts Recht machen.