Heute möchte ich einen Artikel mit euch teilen, den wir in Vorbereitung auf die Veranstaltung mit Daan van Kampenhout für die Lokalzeitung geschrieben haben. Leider war es wohl nicht dran, ihn zu veröffentlichen. So mache ich es heute selbst, um dem Thema hier Raum zu geben. Wenn du damit in Resonanz gehst und du dich dazu austauschen möchtest, melde dich gerne bei mir.
Hier also der Artikel, den ich gemeinsam mit unserem Team von Lebensfluss Begleitung geschrieben habe:
Die vergangenen Jahre waren geprägt von Verlusten und Herausforderungen für alle von uns. Wir mussten uns immer wieder auf neue Umstände einstellen, die Veränderungen in unterschiedlichsten persönlichen wie beruflichen Lebensbereichen zur Folge hatten.
Auf besondere Art betroffen waren Menschen, denen der Abschied von sterbenden Angehörigen in Zeiten der Lockdowns und Einschränkungen erschwert oder unmöglich gemacht wurden. Viele Menschen durften ihre Liebsten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen teils gar nicht oder nur selten besuchen und konnten sie nicht auf dem Weg der Krankheit und des Sterbens begleiten. Bei Covid-positiv Verstorbenen musste je nach Bundesland und Bestattungsunternehmen auch nach dem Tod der Sarg geschlossen bleiben. Trauerfeiern fanden oft nur im kleinen Kreis und mit viel Abstand statt, anschließende Trauerkaffees waren häufig nicht möglich.
Deshalb hat es sich Bestatterin und Trauerbegleiterin Silke Szymura-Laux bei „Lebensfluss Begleitung“ in Friedberg zusammen mit ihrem Team zur Aufgabe gemacht, Räume für eben diese Auswirkungen und die dazu gehörenden Trauerprozesse anzubieten.
Frau Szymura-Laux, Sie sind selbst Bestatterin und führen mit Ihrem Mann zusammen ein Bestattungsunternehmen in Bad Nauheim-Steinfurth und Friedberg. Was waren die größten Herausforderungen der Pandemie-Zeit für Sie als Bestatterin?
Im Grunde genau das, was Sie beschreiben. Zu sehen, wie Menschen ohne die oft so wichtige Zeit des Abschieds mit dem Verlust von Angehörigen umgehen mussten. Der Tod ist für uns Menschen sowieso oft schwer zu begreifen. Ohne eine Form von Abschied kann dieser Prozess und damit die Trauer deutlich erschwert werden. Mich persönlich hat auch der Abstand untereinander in der Zeit belastet. Es passte einfach nicht zusammen. Wenn ein Mensch gestorben ist, braucht es Nähe, in den Arm genommen werden, ein Gefühl, dass wir in dem Moment nicht allein sind. All das war in den letzten Jahren kaum möglich. Wenn ich das sage, dann geht es mir nicht darum, die Maßnahmen zu kritisieren. Ich möchte vielmehr darauf aufmerksam machen, welch tief greifende Auswirkungen sie hatten, und auf die Frage schauen, wie wir jetzt damit umgehen. Wo und wie finden Menschen jetzt die Nähe, die sie damals vermisst haben? Wie können wir heute gewisse Rituale nachholen, die zu der Zeit nicht möglich waren? Wohin können sich Menschen vertrauensvoll wenden mit ihren Erfahrungen? Ich wünsche mir möglichst wertfreie Räume, in denen es um die jeweiligen Erfahrungen und Bedürfnisse als Mensch gehen darf. Das ist gar nicht leicht, weil wir ja alle selbst „Betroffene“ der Pandemie sind.
Wenn Sie Trauerfälle als Bestatterin begleiten, sind Sie ja in den meisten Fällen nicht persönlich betroffen. Wie sind Sie aber mit der Doppelbelastung umgegangen, einerseits selbst wie Sie sagen „Betroffene“ der Pandemie zu sein, und gleichzeitig aber als „Fachperson“ anderen Menschen hilfreich zur Seite stehen zu wollen und zu müssen?
Das war wirklich oft nicht leicht und mir ist teils erst im Nachhinein bewusst geworden, welche emotionale Belastung damit einhergegangen ist. Ich kann mir vorstellen, dass es vielen Menschen so geht. Mir hat es geholfen, offen darüber zu reden. Das war und ist in unserem Team zum Glück möglich. Auf diese Weise konnte ich zu jeder Zeit aussprechen, was mich belastet und meine eigene Trauer über bestimmte Situationen fühlen und zulassen. In den vergangenen Jahren habe ich gelernt, wie wichtig das ist.
Neben den ganz persönlichen Verlusten von Menschen hat die Corona-Pandemie uns auch mit dem – zumindest temporären – Verlust von Dingen wie Freiheit, Vertrauen oder dem Gefühl von Nähe und Verbundenheit konfrontiert. Was für Auswirkungen kann das auf uns als Einzelne haben, nicht nur im Hinblick auf eigene Trauerprozesse, die erschwert wurden, sondern auch im Hinblick auf ein möglicherweise verdrängtes Trauern in unserer Gesellschaft?
Es waren so vielfältige Arten von Verlusten, dass ich glaube, dass wir sie bisher noch gar nicht alle erfassen können. Es wird Zeit brauchen, all das zu verarbeiten. Jede und jeder von uns kann ein wenig dazu beitragen, indem wir beginnen, einander wieder mehr zuzuhören. Offen zu sein für die Erlebnisse und Erfahrungen der anderen, selbst wenn sie scheinbar auf der „anderen Seite“ standen. Ich glaube, wenn uns das gelingt, werden wir bemerken, dass unsere Erfahrungen in Bezug auf Verluste und den damit einhergehenden Gefühlen wie Angst und Unsicherheit letztendlich gar nicht so unterschiedlich waren und sind.
Ende September veranstalten Sie ein Seminar mit dem Titel Verlust, fehlende Abschiede und die Auswirkungen der Pandemie – Systemische Rituale mit Daan van Kampenhout. Daan van Kampenhout ist ein gefragter Workshopleiter und Autor, hat selbst seinen Vater während der Corona-Pandemie verloren und konnte nicht an dessen Trauerfeier teilnehmen.
Was genau ist Ziel seiner Arbeit und inwiefern kann sie helfen, mit den persönlichen und kollektiven Auswirkungen der Pandemie umzugehen?
In seiner speziellen Art der systemischen Aufstellungsarbeit, die er „Systemische Rituale“ nennt, steht stets das persönliche, individuelle Thema am Anfang. Ausgehend davon gelingt es Daan van Kampenhout, den Raum für die kollektive Erfahrung zu öffnen und auf gewisse Weise das eigene Erleben in einen größeren Kontext zu bringen. Systemische Rituale ermöglichen es dadurch, ein klein wenig Distanz zu unserem eigenen Erleben zu schaffen. Aus dieser Distanz heraus lassen sich die persönlichen Erfahrungen oft neu und anders betrachten und einordnen. Bereits unsere Vorfahren haben Verluste, Krisen und Trauma erlebt und Wege gefunden, damit umzugehen. Van Kampenhouts Arbeit kann dabei helfen, sich dieser größeren Zusammenhänge bewusst zu werden und damit neuen, festeren Boden unter den Füßen zu spüren.
Für alle, die Interesse am Thema und/oder am Seminar haben: Welche Kontaktmöglichkeiten gibt es?
Für das Seminar mit Daan van Kampenhout am 23. September sind noch Plätze frei. Darüber hinaus plant „Lebensfluss Begleitung e.V.“ regelmäßige Treffen zum Austausch speziell für Themen, die Corona mit sich gebracht hat. Alle Informationen zum Seminar gibt es auf unserer Webseite unter Termine.
Foto: Daan van Kampenhout