Suizid als Todesursache – Was bedeutet das für meine Trauer?

Suizid - Was bedeutet das für meine Trauer?

Ein Mensch stirbt und hinterlässt Angehörige, Freunde, Bekannte, die ihn oder sie vermissen. Das ist traurig und oft sehr schmerzhaft. Wie fühlt sich das dann an, wenn dieser Mensch sich selbst entschieden hat zu gehen? Macht das einen Unterschied? Heute, am 10. September, ist Welt-Suizid-Präventionstag und so möchte ich den Anlass nutzen, um über das Thema zu sprechen. Es ist ein ganz sensibles und zugleich auch ein Thema, das wirklich viele Menschen betrifft. Ungefähr 10.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland durch Suizid – das sind mehr als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen wie auf dieser Seite zu lesen ist. Das macht mindestens 100.000 Menschen, die jährlich um jemanden trauern, der sich das Leben genommen hat. Und doch ist das Thema nach wie vor tabuisiert. Auch ich hätte es vor ein paar Jahren noch sehr schwer gefunden, darüber zu sprechen, schwer nachzuvollziehen wie überhaupt jemand diesen Schritt gehen kann. Heute sehe ich das anders und finde es besonders wichtig, dass wir darüber reden. Nicht nur im Hinblick auf die Suizid-Prävention, sondern auch für Betroffene, die um einen Menschen trauern, der sich das Leben genommen hat.

Es ist heute genau drei Wochen her, dass meine Freundin sich entschieden hat, dieses Leben zu beenden. Bisher hatte ich mich immer eher theoretisch mit dem Thema beschäftigt und auf einmal betrifft es mich nun selbst. Was für ein Schock. Unfassbar. Und natürlich kommen die Fragen: Hätte ich etwas tun können, um sie davon abzuhalten? Hätte ich mehr für sie da sein können? Was wäre gewesen, wenn ich sie noch einmal angerufen hätte? Das Thema Schuld nimmt oft einen ganz besonderen Stellenwert ein, wenn wir mit einem Suizid konfrontiert werden. Und doch war mir zugleich auch klar: Ich, wir alle, haben stets unser Bestes gegeben. Wir können da sein, wir können alles Mögliche tun und doch können wir niemanden davor bewahren, wenn es sein oder ihr Weg ist, von dieser Welt zu gehen. Ich denke momentan oft an eine Sichtweise, die mir in meiner Trauerbegleiter-Ausbildung begegnet ist: Suizid ist eine ganz normale Todesursache, so wie andere auch. Das soll den Schock nicht mindern. Aber kann vielleicht helfen, das Thema aus dem Tabu zu holen. Depression ist eine Krankheit, die tödlich enden kann. Kann ich dann wirklich denken, dass es letztendlich in meiner Macht liegt, jemanden davon abzuhalten? Dieser Gedanke hat mir geholfen, auf eine Art im Frieden damit zu sein, besonders mit all meinen Fragen und Selbstvorwürfen. Letzten Endes werde ich es nie erfahren, was gewesen wäre, wenn ich dies oder jenes getan hätte – in jedem Fall ist es jetzt zu spät dafür. Doch manche Dinge kann ich auch weiterhin für sie tun, darüber habe ich in diesem Artikel bereits geschrieben. Damit meine ich selbstverständlich nicht, dass wir es gar nicht erst versuchen sollten, jemandem mit Suizidgedanken zu helfen. Im Gegenteil. Wir würden ja auch nicht einfach gar nichts tun, wenn jemand an Krebs erkrankt ist oder einen Unfall hat, nur weil dies potentiell tödlich enden kann. Nur letzten Endes haben wir eben nur bedingt Einfluss auf das, was geschieht im Leben. Das Einzige, was wir wirklich beeinflussen können, ist wie wir damit umgehen.

Und dann ist da das Thema Respekt. Ich habe großen Respekt vor meiner Freundin für diesen Schritt. Wer bin ich auch, nun über sie zu urteilen, dass sie diesen Tod gewählt hat? Wer bin ich, sie nicht weiter zu respektieren, lieb zu haben und anzunehmen genau so wie sie war, nur weil sie diesen Schritt gegangen ist? Im Gegenteil, ich spüre ganz deutlich, dass ich ihren Weg akzeptiere. Ich vermisse sie, ich wünschte, ich könnte sie noch anrufen, aber ich akzeptiere es auch, dass sie nun nicht mehr hier ist. Und ich wünsche ihr von Herzen, dass sie es dort, wo sie jetzt ist, leichter hat. Ich möchte und werde weder sie noch irgendeinen anderen Menschen auf eine Krankheit wie Depression reduzieren. Jeder Mensch ist immer so viel mehr als das, was irgendeine Diagnose aussagen könnte. Sehr geholfen haben mir dabei die Worte von Elke Sohler, deren Tochter sich das Leben genommen hat: „Sie hatte diese Entscheidung getroffen, und meine einzige Aufgabe war es, diese Entscheidung von ihr zu akzeptieren und Frieden damit zu finden“, sagt Elke im Interview auf Dein Tod und ich dazu. Ja, ich glaube, darum geht es. Das klingt so leicht und ist doch zugleich eine so große Aufgabe. Auf die Frage, was Elke heute über den Tod ihrer Tochter denkt, antwortet sie:

„Ich denke das Gleiche, wie zu ihren Lebzeiten: sie ist wunderbar und einzigartig, sie ist etwas ganz Besonderes für mich. Es ist immer noch traurig, dass ich sie nun nicht mehr anfassen kann, dass ich sie nicht mehr im Arm halten kann und dass ich ihre Kinder nicht mehr kennen lernen kann. Aber ich liebe sie einfach weiter – sie hat selbst bestimmt, dass ihr irdisches Leben zu Ende sein soll. Wer bin ich, dass ich sie dafür verurteile oder weniger liebe?“

Elke hat über den Tod ihrer Tochter und ihren eigenen Weg zurück ins Leben das Buch „Jenseits des Drama“ geschrieben. Mehr dazu auf ihrer Webseite. Eva Terhorst hat einen Sondernewsletter zum Thema Suizid herausgebracht, in dem du zusätzliche Informationen findest. Sie hat ebenfalls ein Buch dazu geschrieben, das sie in ihrem Newsletter vorstellt. Gleich nachdem ich vom Tod meiner Freundin erfahren hatte, habe ich zudem den Artikel von AnnaRockt über den Suizid ihrer Freundin noch einmal gelesen und in dieser unfassbaren Situation einen wichtigen Halt darin gefunden.

Es gäbe noch so viel zu diesem Thema zu sagen und doch ist es für heute alles, was ich hier teilen möchte. Ich würde mich freuen, wenn wir uns darüber austauschen könnten. Bist du vielleicht selbst betroffen und was hat dir geholfen oder was waren und sind aus deiner Sicht die besonderen Schwierigkeiten, um mit dem Suizid eines nahestehenden Menschen umzugehen? Schreib mir gerne auch, wenn du mit den Gedanken von mir nicht übereinstimmst. Es ist auch für mich neu, darüber zu schreiben, und ich möchte nicht verschweigen, dass ich durchaus ein wenig unsicher bin, mich frage, ob ich mit dem, was ich dazu schreibe, jemandem zu nahe trete. Ich hoffe, dass es nicht so ist, würde es aber gerne erfahren, wenn es so wäre, um vielleicht Missverständnisse aufklären zu können.

Wenn du selbst Suizidgedanken hast, dann möchte ich dir ebenfalls die Seite von Freunde fürs Leben ans Herz legen. Und natürlich die Telefonseelsorge. Diese kann auch helfen, wenn du nicht weißt, wie du mit den Suizidgedanken oder dem Suizid eines nahestehenden Menschen umgehen sollst: 0800/111 0 111  oder 0800/111 0 222. Ich möchte dir auch ans Herz legen, dir darüberhinaus Unterstützung zu suchen in Form von Therapie und professioneller Begleitung, wenn du das Gefühl hast, dass es nicht weitergeht.

   
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17 Antworten

  1. Liebe Silke,
    du hast viele Punkte die im Zusammenhang mit dem Suizid ein Thema sind, angesprochen. Ja, es ist ‚einfach‘ eine weitere Todesursache. Andererseits lässt sie uns hilfloser als jede andere Todesursache zurück. Es sind so viele Emotionen und gesellschaftliche Wertungen im Spiel. Und auch sehr viele nicht hilfreiche Emotionen wie Schuldgefühle oder Scham. Für mich war es sehr hilfreich, mich völlig von der Frage nach dem warum und von den Fragen, ob ich etwas hätte tun können, zu distanzieren. Und mich auf meine Heilung zu fokussieren.
    Ich wünsche dir alles Liebe und weiterhin so viel Mut und Kraft um dieses schwere Thema ein Stück leichter zu machen. Eine herzliche, liebevolle Umarmung sendet dir
    Elke

    1. Liebe Elke,
      danke dir für deinen Kommentar, über den ich mich gerade bei diesem Beitrag wirklich sehr freue. Es ist ein wirklich vielschichtiges Thema, das wird mir jetzt nachdem ich den Artikel geschrieben und bereits viele Kommentare auf Facebook dazu erhalten habe, noch einmal deutlicher denn je bewusst. Es ist wirklich tragisch, dass die gesellschaftlichen Wertungen die Verarbeitung oft noch deutlich schwerer machen. Dabei ist der Verlust doch schon schwer genug. Dein Fokus auf Heilung ist spürbar und inspirierend. Wie geschrieben haben mich deine Worte schon vorher berührt, aber jetzt in meiner persönlichen Betroffenheit auch noch mal ganz besonders geholfen. Danke dir dafür!
      Ich umarme dich auch ganz herzlich und schicke dir ganz liebe Grüße
      Silke

  2. Liebe Mitbetroffene und andere Trauernde.
    Ein Tabu das 10.000 Tote fordert, meist junge Menschen. Die Fragen warum, wieso, weshalb. Eine Depression ist ein Krankheit, wie der Sch… krebs. Und genauso oft tödlich.
    Jeder Krebs oder anders tödlich erkrankte und auch wir „gesunde“ können das nicht verstehen. Todkranke würde und geben oft alles um noch ein bischen Zeit zu bekommen. Viel Scharlatane locken ohne Hemmungen die Betroffenen und ihre Familie in schein Hoffnungen.
    Meine persönliche Rating von sterben: Platz 3 der Mensch der an einer unheilbaren Krankheit erkrankt, dieses diagnostiziert wird und dadurch halt der Tod zu Lebzeiten ins Leben drängt. Man kann sich im gewissen rahmen darauf einstellen, wobei der eigentliche Akt alles hinwegfegt….
    Platz 2 der plötzliche Tod, Unfall, Infakt und Ähnliche. Aus dem Nichts kommt der Gevatter…
    Und der Obergau ist der Suizid. Aus Sicht der Hinterbliebenen. Zuviel ungeklärtes, plötzlich.
    WIR die hier weiterleben dürfen, wir in unserer Trauer.
    Wir Hinterbliebene, die plötzlich die Welt ganz anders sehen und fühlen, die dieses tabu Tod selbst erlebt haben. Unsere Aufgabe ist es neuen die hand zu reichen. Wir lösen keine Probleme oder trauer, aber wir können beispiel sein für andere.
    Das leben bewusst, erleben. mit allen neuen Menschen die uns dabei begleiten. DEN WERT Dieses Lebens, WIR kennen und schätzen es!!!!
    Euch allen viel Kraft.

    1. Lieber Olaf,
      danke dir für deinen Kommentar und deine Gedanken zu meinem Text. Ich weiß gar nicht, ob es diese Platzierungen braucht. Was ist schlimmer, es ist schwer zu sagen, denn jeder Tod ist ganz individuell und auf besondere Art traurig, schlimm, schockierend für die Hinterbliebenen. Es ist von außen nicht zu beurteilen, nie können wir so ganz fühlen, was ein anderer fühlt. Und doch, natürlich, stellt ein Suizid eine ganz besondere Herausforderung dar. Wegen der Fragen, die man sich unweigerlich stellt, weil die Schuldgefühle oft noch eine größere Rolle spielen.
      Ich stimme dir zu, es geht in jedem Fall darum zu schauen, wie es weitergeht für die Hinterbliebenen. Und darum, dass wir, die bereits mit dem Tod in Berührung gekommen sind, anderen die Hand reichen. So dass am Ende jeder und jede den ganz eigenen Weg durch die Trauer finden kann.
      Viele Grüße und alles Gute für dich
      Silke

  3. Liebe Silke,
    dein Bericht über Suizid ist einfach liebevoll und hüllt den gegangenen Menschen mit seiner Seele, mit Respekt, Achtung und unendlicher Liebe ein – wie eine Art Schutz. Meine Seele ist damit tief in Resonanz gegangen, denn das ist genau das, was die Seele eines Menschen braucht, der Suizid begangen hat: ganz viel Liebe und Schutz.
    Ich selbst habe meinen geliebten Onkel verloren. Zwar war ich erst 7 Jahre alt, aber er war mein Vaterersatz und es passierte am 23.12.; für meine Familie war es ein Schock und viele Familienmitglieder erstarrten in Trauer. Ich habe erst Jahre danach in einer liebevollen Therapie darüber reden können und festgestellt, dass „Aufarbeiten“ hilft und „Reden“, und zwar wirkliches Reden, um zu verstehen und Erkenntnisse daraus zu ziehen. Jedes tiefere Durchdringen eines Suizids ist auch eine Antwort und ein Spiegel für einen Selbst, das eigene Leben zu lieben, sich zu bejahen, und auch einfach mal zu sein … so wie man ist. Ich wünsche jedem, dem dies in ähnlicher Weise passiert ist, liebevolle Begleitung und die Akzeptanz für diesen Schritt.
    Ich danke Dir Silke, für deinen sensiblen Beitrag!
    Liebe Grüße
    Anna

    1. Danke dir, liebe Anna, für deinen liebevollen Kommentar! Wie schön, dass du schließlich in deiner Therapie so einen guten Ort für deine Trauer und die Aufarbeitung des Suizids deines lieben Onkel gefunden hast! Ich mache auch immer wieder die Erfahrung, wie gut Reden hilft. Wenn die Trauer da sein kann und auch alle Fragen gestellt, alle Gefühle ausgedrückt werden können.
      Wie schön du es zusammen gefasst hast: die Seele eines jeden Menschen und wohl ganz besonders nach einem Suizid benötigt Liebe und Schutz. Vor allem Liebe.
      Liebe Grüße
      Silke

  4. Liebe Silke
    Ich würde auf den Artikel über dein tod und ich aufmerksam.
    Vor drei Monaten hat sich mein Mann (51) suf grund einer Depression Leben genommen .
    Völlig unerwartet
    Unangekündigt und somit für mich und meine Tochter (14) unbegreiflich.
    Unser Leben hat sich von einem Moment auf den anderen total verändert .
    Auch ich Frage mich immer wieder was hätte ich tuen können? Warum hat er uns verlassen ?
    Auch ich denke dass ich akzeptieren muss dass er sein Leben beenden wollte.
    Es war sein Leben und seine Entscheidung.
    Und trotz allem ist es als würde jemand dein Herz in Stücke reissen.
    An manchen Tagen fühlst du dich stark und denkst du schaffst es , auch für ihn.
    Und zwei Tage später bis du wieder ganz unten.
    Alleine mit all den Sorgen all der Verantwortung und der Grossen Grossen Lücke.
    Ich bin dankbar für die all die Menschen die bei mir sind und für Menschen wie dich , die dieses Thema auf den Punkt bringen .
    Danke

    1. Liebe Daniela,
      danke dir für deinen Kommentar. Es tut mir sehr leid, dass du deinen Mann so plötzlich und auf diese Art verloren hast. Drei Monate, das ist noch so eine unglaublich kurze Zeit für diesen unfassbaren Verlust. Ich kann nur erahnen, wie schwer das alles für euch zu begreifen ist, ist und bleibt es doch unbegreiflich.
      All die Fragen, die nun kommen, dürfen ja auch erstmal sein. Bei aller Akzeptanz ist es doch erstmal ein großer Schock. Und auf eine Art war es seine Entscheidung, andererseits hätte er sie ohne seine Depression wohl niemals getroffen.
      Dieses Auf und Ab ist leider ganz normal in der Trauer. Sie kommt und geht in Wellen und ist schwer greifbar, nicht berechenbar. Ich wünsche dir, wünsche euch wirklich von Herzen, dass du dir die Zeit dafür nehmen kannst und dass du weiterhin liebe Menschen an deiner Seite hast, die dich stützen und begleiten. Ich wünsche dir ganz ganz viel Kraft für diese schwere Zeit.
      Ganz herzliche Grüße
      Silke

  5. Liebe Silke,

    was ein bewegender Artikel. JA bitte bring mit deiner immensen Wortkraft das Thema gern weiter in die Ent-Tabuisierung! Das wir so wenig über den Tod, das Sterben und dann auch in einer für viele Menschen unbegreiflichen Form dem Suizid sprechen, macht mich als Sozialarbeiterin immer wieder stutzig. Zugleich begegnen wir mit dem Tod unseren eigenen Ängsten, ob dies nun bedeutet, nicht genug gelebt zu haben, nicht alles erreicht zu haben, die Angst nicht zu wissen was nach dem Tod kommt, wie Freunde, Familie, Bekannte und v.a. der/die PartnerIn damit zurecht kommt, und unzählige Ängste mehr…
    Ich selbst bin dem Thema in meiner letzten Beziehung begegnet, habe dort viel investiert, nur ging es zum Schluss nicht mehr. Wir hatten uns schlicht und ergreifend auseinander gelebt. Das passiert in einer 6 Jährigen Beziehung. Als klar war, dass ich mein Studium beenden werde und in eine andere Stadt ziehen werde aus beruflichen Gründen, wurde es mit der Depression meines damaligen Freundes immer schlimmer. Eine zeitlang habe ich die Augen verschlossen, dann habe ich viel versucht ihn zu unterstützen, wieder auf die Beine zu kommen. Es wurde eigentlich immer nur schlimmer.
    Eines Abends gestand er mir, auf Drängen meinerseits, wie weit es mit uns und auch mit ihm selbst noch gehen solle, das er ständig Suizidgedanken habe. Das war wie ein Schlag in die Magengegend, wobei es ja eigentlicht so klar gewesen war. Durch mein Studium hatte ich zumindest ein bisschen das Knowhow, mich entsprechend zu verhalten. Wir haben sodann binen weniger Tage einen Termin bei der psychiatrischen Notfallsorge bekommen. Die Zeit dazwischen war zermürrbend/nervenaufreibend/erschütternd. Er bat mich mit niemanden darüber zu sprechen. Ich tat es um meines Willen dennoch, um mich selbst zu schützen, um mir etwas Gutes zu tun, mich zu entlasten.
    WOW es fühlt sich an wie gestern, wenn ich gerade an die Situation von damals denke.
    Es war ein Hilfeschrei seinerseits und ich habe ihm meine volle Unterstützung gegeben, die ich geben konnte. Den größten Teil hat er aber eben selbst erledigt/ geschafft.
    Wir haben uns nach meinem Umzug und einer Nahtoderfahrung meinerseits durch einen Autounfall, getrennt. Unsere tiefe Beziehung ist geblieben, wir haben die damalige Phase gemeinsam durchgestanden. Es gab nur eine weitere Situation, in der er mich nachts anrief und um Hilfe bat, um nicht weiter den Pad der suizidalen Gedanken zu gehen und es in die Tat umzusetzen.
    Ich bin dankbar, dass er es nicht getan hat. Ich bin ebenso dankbar für die Unterstützung der psychiatrischen Notfallsorge und das ich in meinem Studium ein gewisses Know-How erlernt hatte, um zumindest eine Idee zu haben, was getan werden könnte.
    Nichtsdestotrotz musste ich damals für mich den Abstand wahren, um nicht zu tief in die Abwärtsspirale zu gelangen. Depression ist keine Lebensausrede! Sie hält uns nicht fern vom Leben, vom Leben fern halten wir uns nur selbst – ob mit oder ohne Depression.

    1. Danke dir, liebe Kris, für deinen Kommentar und dass du deine eigenen Erfahrungen hier teilst. Ich kann nur erahnen, was für eine große Herausforderung das alles für dich war. Wie gut wirklich, dass du durch dein Studium den Suizidgedanken deines damaligen Freundes nicht ganz hilflos gegenüber standest, obwohl wir natürlich immer ein Stück hilflos bleiben. Ich verstehe es gut, was du schreibst. Es ist wichtig, jederzeit für sich selbst zu sorgen, sonst können wir ja gar nicht für andere da sein. Es ist wichtig, jederzeit auch darauf zu achten, dass wir selbst nicht mit nach unten gezogen werden im Kontakt mit anderen Menschen. Ich finde es wundervoll, wie du an seiner Seite standest und es ist schön, dass er es geschafft hat, aus den suizidalen Gedanken auszusteigen und sie nicht in die Tat umzusetzen.
      Alles Liebe für dich weiterhin
      Silke

  6. Liebe Silke,

    danke, dass du dieses Thema ansprichst.
    Ich habe meinen Mann im März 2016 ganz plötzlich wegen einem Stammhirnaneurysma verloren und habe im letzten Jahr zwei Suizidversuche unternommen. Dies waren nicht meine Ersten.
    Mit 7 Jahren hab ich es das erste Mal versucht und so zog sich das durch mein Leben… bis zu dem Tag, an dem ich meinen Mann kennen lernte.
    Ich halte diese Schmerzen über seinen Verlust kaum aus, bin auch in Therapie wegen mehrerer psych. Sachen.
    Mein Umfeld reagiert recht aggressiv auf meine Versuche. Sie können es nicht verstehen, warum ich es – auch jetzt noch – in Betracht ziehe. Für mich ist es innerlich wie ein Zwang. Ich spüre, dass ich nicht hierher gehöre. Ich fühle mich überfordert, sehe in nichts einen Sinn. Mit meinem Mann war dieser Druck weg… über 12 Jahre… jetzt bricht wieder alles verstärkt über mich herein.
    Mein Umfeld ist der Meinung, dass ich diese Taten nur begehe um Aufmerksamkeit zu erlangen.
    Aber das stimmt nicht. Ich schäme mich dafür, dass es nie klappt. 🙁
    Jemanden dies zu erklären, was in einem vorgeht, ist sehr schwer. Es gibt Tage, da werde ich nur von diesem Gedanken beherrscht mir das Leben zu nehmen. Es kostet so viel Kraft dem nicht nachzugeben, dagegen zu kämpfen. Es macht so müde.
    Mittlerweile habe ich aber akzeptiert, dass es erst klappen wird, wenn ich meine Aufgabe hier erfüllt habe und ich glaube auch, dass bei den letzten beiden Versuchen mein Mann seine Hand im Spiel hatte. Er wäre sehr böse auf mich, aber er würde mich verstehen. Er hat mich immer verstanden!

    Liebe Silke, bitte schreib weiter über das Thema. Ich denke, die Leute sollten darüber aufgeklärt werden.
    Viele sehen es als feige an sich so aus dem Leben zu verabschieden.
    Aber es gibt so viele Aspekte, warum man diesen Weg wählt. Ich würde mir so sehr wünschen, dass die Leute nicht für diesen Schritt verurteilt werden.
    Natürlich ist es für das Umfeld schwer bis gar nicht nachzuvollziehen. Aber wie verzweifelt muss ein Mensch sein, um diesen Weg zu wählen? Wie mutig, sich selbst etwas anzutun! Sich selbst Schmerzen zuzufügen.
    Auch diese Seite sollte beleuchtet werden.
    Ich könnte noch so viel dazu schreiben, aber meine Hände zittern gerade so sehr…

    Ich wünsche allen viel Kraft für die Verarbeitung und bitte, denkt nicht schlecht über diesen Menschen und schätzt / liebt ihn weiter.
    Seine Entscheidung ist nicht gegen euch gerichtet!

    Verzweifelte Grüße
    Katrin

  7. Hallo,

    Meine Schwester hat sich vor wenigen Wochen für den Suizid entschieden. Dieses Gefühl, das einen innerlich förmlich zerreißt, ist nicht mit Worten zu fassen. Vorher gehörte ich zur betreten schweigenden Fraktion, wenn ich von einem Suizid erfahren habe. Heute weiß ich, dass es nichts zu sagen gibt. Nichts, was Halt gibt oder irgendetwas „besser“ macht. Diese Widersprüchlichkeit der Emotionen ist für mich nur sehr schwer auszuhalten. Zwischen Trauer, Wut, dem Wunsch, ihre Entscheidung akzeptieren zu können, der Frage nach Schuld… und die Einsamkeit mit diesem emotionalen Fass ohne Boden. Denn an diese Art der Trauer wagt sich kaum jemand heran. Über einen Unfall kann man reden. Über Suizid nicht.
    Der schlimmste Satz ist der, dass „das Leben weitergeht“. Ja, für andere. Für die Hinterbliebenen erst mal nicht. Und wenn doch, dann anders. Damit ist es nicht nur ein Abschied von einer Person, die man liebte und die man nicht halten konnte. Sondern auch ein Abschied vom alten eigenen Leben.

    1. Liebe Anne,
      es tut mir sehr leid zu lesen, dass deine Schwester sich entschieden hat, aus diesem Leben zu gehen. Ich kann nur erahnen, was du gerade durchmachst. Es stimmt, es gibt nichts zu sagen, das es irgendwie „besser“ machen könnte. Wie auch. Deine Schwester ist nicht mehr da, wie sollte irgendein Wort oder Satz da irgendwas „besser“ machen. Dass das Leben nach so einem schweren Verlust um einen herum weitergeht, ist wenig tröstlich. Die Welt und die Zeit bleiben stehen und trotzdem leben drumherum alle weiter als wäre nichts gewesen – das ist erstmal so surreal und irgendwie falsch. Liebe Anne, auch ich habe da keine Worte. Ich wünsche dir aus ganzem Herzen die Kraft, die du jetzt brauchst, und den Mut, deinen ganz eigenen Weg zu gehen. Auch wenn dieser Weg bedeutet, dass du erst einmal stehen bleibst. So lange wie es für dich nötig ist. Denn was ist schon Zeit? Ich wünsche dir von Herzen, dass du dir die Zeit nehmen kannst, die du jetzt brauchst. Zum Innehalten, Fühlen, ganz langsam Begreifen, was nicht zu begreifen ist. Ich schicke dir eine liebe Umarmung, wenn du das möchtest.

  8. Hallo,
    Meine Schwester sprang heute vor 2 Jahren aus dem Dachfenster unseres Hauses – ich war nur durch einen spontanen Zwischenfall an diesem Tag zu Hause. Als ich ein lautes Krachen hörte dachte ich, dass das Kind auf welches ich aufpasste aus dem Bett gefallen wäre. Also sah ich nach es schlief aber ruhig. Als ich dann meine Schwester von draußen meinen Namen schreiben hörte wusste ich im Unterbewusstsein schon was passiert war, da ich schon mit dem Telefon in der Hand rauslief. Als ich meine Schwester am Boden liegen sah brach meine Welt komplett zusammen ich wählte den Notruf und wartete zusammen mit meiner Schwester bis die Rettung und Polizei ankamen. Ihre Kommentare wie: warum hat es nicht geklappt, ich sollte jetzt tot sein ließen die halbe Stunde wie eine Ewigkeit wirken. Der Moment wenn sie ihre Beine nicht mehr spürt und man einfach Angst hat, dass eine innere Blutung etc. doch noch zu einem Tod führen könnten. Als dann die Polizei eintraf und begann Fragen zu stellen…. und die Rettungssanitäter meinten ich solle nicht mit ins Krankenhaus fliegen fühlte ich mich so unnütz wie noch nie. Ich bin unendlich dankbar für die Mama des Kindes auf welches ich aufpasste, dass sie sofort von ihrer Arbeit wegfuhr um für mich da zu sein und mir nicht von der Seite wich bis der Rest meiner Familie heimkam. Ich bin dankbar für jeden einzelnen Freund der mir nicht von der Seite sich und mich nicht bedrängte wenn ich nicht reden wollte. Besonders dankbar bin ich für meinen Klassenvorstand ich habe keine Ahnung was sie der Klasse erzählt hat – auf jeden Fall gab es die Monate danach wenn ich weinend aus dem Unterricht stürmte keine dummen Kommentare sondern Verständnis. Nicht jeder meiner Freunde hat es verstanden so damit umzugehen wie man es sich wünschen würde, aber heute weiß ich, dass jeder sein bestes versuchte und teilweise auch einfach mit der Situation überfordert war. Ich freue mich auf den Tag an welchem mir nicht mehr Tränen in die Augen schießen wenn jemand über Selbstmord redet, ich einen Schock und Dejavu bekomme wenn ich eine Rettung sehe/höre, wieder in Höhen arbeiten/ sein kann ohne ein Flashback zu haben und wieder ein echtes Vertrauen zu neuen Bekanntschaften und meiner Schwester aufbauen zu können.

    1. Es tut mir sehr leid was du erleben musstest, liebe Maria. Ich wünsche dir von Herzen, dass du deinen Frieden damit und neues Vertrauen in die Menschen und das Leben finden kannst. Zwei Jahre ist noch eine so kurze Zeit für diesen Verlust. Ich wünsche dir immer Menschen an deine Seite, die dir den Raum geben, den du brauchst, und Unterstützung für deinen Weg. Von Herzen alles Liebe für dich

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