Ist meine Trauer still geworden?

Buch schreiben

Vielleicht hast du dich gefragt, warum es hier in der letzten Zeit so wenig neue Beiträge gab. Ein einzelner Artikel im Juni, im Juli bisher noch gar nichts. Ist etwa alles gesagt, was es zu sagen gab? Nein, ganz bestimmt nicht. Aber auch laute Trauer kann manchmal ganz still sein. Manchmal ist es an der Zeit, nach innen zu gehen, zu fühlen, ganz bei sich zu sein. So eine Zeit hatte ich in den vergangenen Wochen, ja, eigentlich Monaten. Eine Zeit, in der es nicht darum ging, laut nach außen zu gehen, weder mit meiner Trauer noch mit sonst irgendwas. Eine Zeit, in der ich gar nicht gerne gesehen werden wollte. Eine Zeit des Innehaltens und Rückzugs. Eine Zeit, in der ich mich wieder ein kleines Stückchen näher kennenlernen durfte. Immer wieder gar nicht so leicht auszuhalten. Es gab doch eigentlich so viel zu tun, zu sagen, so viele Pläne, Projekte, Ideen. Und doch schaffte ich es nicht, sie umzusetzen. Die Energie war weg, dafür so viele Zweifel und Fragen da. Wie will ich leben, wie kann ich gut in der Welt sein, wie geht es nun weiter? Wozu sind wir hier und was kann und möchte ich dem Leben geben? Und auch: Was will ich eigentlich vom Leben? Wer bin ich wirklich, wie will ich sein? So viele große Fragen und ich mitten drin.

Und dann war es plötzlich an der Zeit, mein Buch zu schreiben. Ich könnte jetzt sagen ich wollte es schreiben, denn das stimmt ja auch. Schon lange wollte ich das und habe es auch immer wieder versucht. Doch dann war es eher so, dass es geschrieben werden wollte. Wie eine Geburt. Lange war ich schwanger und dann musste dieses Baby einfach raus. Es mag verrückt klingen, aber so hat es sich angefühlt. Nichts anderes ging, nur schreiben. Ich konnte das nicht planen, es musste raus als es dran war. Und dann konnte ich auch nicht sagen, ich schreibe drei Stunden und mache den Rest der Zeit etwas anderes. Es blieb keine Kapazität für Blogartikel oder für Dein Tod und ich. Das Schreiben hat mich voll eingenommen, quasi Tag und Nacht. Und es war kein einfacher Prozess, im Gegenteil. Ich möchte auch das hier gerne mit dir teilen, weil es dazu gehört. Ich schreibe immer davon, dass ich Frieden mit Julians Tod gefunden habe und mit meiner Trauer. Das stimmt auch und doch – noch einmal voll einzutauchen in das, was ich erlebt habe, alle Gefühle noch einmal zu fühlen, diese ganzen vier Jahre noch einmal im Zeitraffer zu durchleben, war ein wirklich anstrengender Prozess. Anstrengend, tiefgehend und letzten Endes heilsam. Ich hatte es wirklich unterschätzt. Zwischendrin wollte ich mehrfach aufhören, wollte diese Gefühle nicht noch einmal fühlen. Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Schmerz, Einsamkeit. Dann durfte ich mich an meine eigenen Worte erinnern: Gefühle wollen gefühlt werden. So habe ich mich schließlich komplett hindurch geschrieben, erst mitten rein in den Schmerz und dann wieder heraus. Und ich wusste: nur wenn ich es jetzt noch einmal fühle, kann es auch jemand, der es liest, mitfühlen. Mit Abstand darüber schreiben war nicht das, was ich wollte. Also noch einmal mitten hindurch. Alle meine Tagebücher der letzten vier Jahre, so ziemlich alles, was ich irgendwo aufgeschrieben habe, habe ich dafür noch einmal gelesen. Und mich selbst gesehen. Mich selbst in diesem Schmerz. Wie habe ich das damals eigentlich ausgehalten?

Mir ist noch einmal auf neue Art bewusst geworden, wie heftig Trauer ist, wie anstrengend, wie sehr es uns aus der Bahn und aus der Welt werfen kann. Die eigene Welt bleibt stehen, liegt in Scherben, während die Welt der anderen sich einfach weiter dreht. Wie viele weitere Verluste da oft dazu gehören, die man im ersten Moment gar nicht erahnen kann. Und wieder finde ich es so wichtig, darüber zu sprechen. Nicht alleine zu bleiben damit. Das hat mir auch während des Schreibens sehr geholfen. Und das Schreiben selbst, für mich von Anfang an etwas sehr Heilsames. Dem Schmerz Ausdruck geben, in welcher Form auch immer. Und dir, lieber Leser, liebe Leserin, der oder die du vielleicht gerade einen geliebten Menschen verloren hast, möchte ich sagen:

Du leistest Großartiges, auch wenn es sich für dich vielleicht gerade nicht so anfühlen mag. Du musst so vieles aushalten, durchfühlen, durchleben und zugleich kann ich mir vorstellen, dass so vieles von dir verlangt wird in dieser Welt, in der du lebst. So viel prasselt gleichzeitig auf dich ein – innerlich und äußerlich. Was auch immer es ist, jeder von uns erlebt es ganz individuell. Egal wie, du machst das gut. Du gehst deinen Weg. Wie auch immer der aussehen mag. Du bist genau richtig, so wie du bist.

So war es eine stille Zeit hier auf dem Blog und zugleich ist etwas ganz Neues entstanden, ein neues Stück laute Trauer. Ich bin unendlich dankbar, dass es jetzt da ist. Es ist noch nicht ganz fertig, gerade arbeite ich noch an einer (vorerst) finalen Version. Wie ein Baby lässt es mich nach wie vor manchmal nicht schlafen. Wann es rauskommt, kann ich also noch nicht sagen. Und ob es dann gut ist und gelesen werden will, weiß ich auch nicht. Aber ich weiß, dass es gut und wichtig war es zu schreiben. Ich weiß, dass ich es teilen möchte, was auch immer dann damit passiert. Und ja, wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich auch eine scheiß Angst davor. Wenn dieser Blog hier persönlich ist, dann ist mein Buch .. naja, irgendwie nackig. Aber ich glaube, darum geht’s. Für mich zumindest. Darum, wahrhaftig zu sein und zu teilen was mich bewegt, auf meine Art in geschriebenen Worten. Wie ich meine Trauer erlebt habe, wie ich auch neuen Sinn und ein neues Leben gefunden habe. Und zugleich nach wie vor genau danach suche. Schließt sich das nicht gegenseitig aus? Ja und nein, es bleibt ein Prozess. Diesen Prozess nennt man wohl Leben.

Jetzt habe ich so viel geschrieben und sagen wollte ich eigentlich nur: Ich bin nicht weg, das hier ist noch nicht vorbei, ich werde weiter schreiben. Und ich freue mich, wenn du weiter mitliest und auch deine Gedanken und Gefühle mit mir teilst. Danke, dass es dich gibt. ♥

 

   
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11 Antworten

  1. Liebe Silke, eine tolle Entscheidung die du da getroffen hast. Du sprichst so aus dem Herzen, das kann kein anderer in Worte fassen, wie du. Ich bin gespannt auf die Geburt…

  2. Sich dem Erlebten noch einmal so zu stellen muss mehr als hart sein. Ich wünsche Dir weiterhin ganz viel positive Energie und Erfolg beim Erschaffen!!

  3. Liebe, wunderbare Silke. Ich freue mich schon so auf dein Buch, ich freu mich schon, wenn es käuflich erheblich ist :-). Danke dafür, dass du du bist und so stark und treu auf deinem Weg bleibst.

  4. Liebe Silke,
    deine Worte bewegen mich sehr. Danke dafür, dass du dich zeigst & dir den Raum nimmst, für das, was gelebt werden will. Die Suche hört nicht auf, aber es ist schön, wenn wir gemeinsam mit anderen auf der Suche sind. Ahoi & herzlich, papiertänzerin.

  5. Für DICH muss dieser Blog kein Zwang werden. Freie Gedanken und Gefühle. Und wenn dann ein wichtigeres Projekt bearbeitet werden muss, dann ist das wichtiger. Der Lauf der zeit steht nie still und immer wieder kommen neue Dinge dazu.
    Ich wollte vor drei Jahren auch alles in ein Buch packen, Das Titelblatt und das Endkapitel schnell Handschriftlich verfasst. Das Mittelstück wartet noch drauf zu Papier gebracht zu werden. Auch weil es bewusst ist, das es sehr schmerzen wird, alles aus dem eingeprägten Eindrücken nochmals zu erleben. Wenn die Zeit reif ist, wird es passieren.
    Hier und jetzt in diesem anderen Leben. Und das kann auch gut sein, diesses andere Leben, wenn wir es zulassen…
    Bestw wünsche

  6. Liebe Silke,
    das habe ich mir schon gedacht, dass Du etwas Großes bewältigst. Ich freue mich das Du es fast geschafft hast mit Deinem Buch. Ich hoffe es wird genauso klar und einfühlsam wie Deine Kommentare hier.
    Ich habe mir auch versprochen meiner Frau einen Liebesbrief zu schreiben. Anfangen konnte ich damit erst sechs Monate nach ihrem Tod. Vorher hatte ich nicht die Kraft dazu. Jetzt bin ich fertig.
    Wie bei Olaf hat alles mit einem Vorwort begonnen. Danach folgen viele, viele Seiten mit vielen schönen Gedanken und einem großen Dankeschön.
    Das Schreiben hat verschollen Geglaubtes wieder ans Licht gebracht. Besonders aus der Zeit zwischen Diagnose und ihrem Tod, da hatte ich vieles vergessen. Und, es hat dazu gebracht mich noch einmal mit dem Geschehenen auseinander zu setzten. Oft endete die wieder aufkommende Traurigkeit mit einem Aufatmen und der Gewissheit das es eine schöne Zeit war, mit dieser Frau.
    Und Du hast Recht, man vergisst beim Schreiben die Zeit.
    Ich wünsche Dir alles Gute und das Dein Buch ein Bestseller wird. Danke fürs zuhören.
    Liebe Grüße Andreas

  7. Liebe Silke, auch ich bedanke mich von ganzem Herzen für die immer wieder so schönen, einfühlsamen und mir ach so bekannten Worte und Sätze.
    Auch für mich war das Schreiben eine sehr große Hilfe, und ist es noch.
    Ich habe für mein erstes Vorhaben- ein Kochbuch zu verfassen, gespickt mit Geschichten aus unserem gemeinsamen Leben- ganze 6 Jahre gebraucht! Alles hat seine Zeit und es ist gut so.
    Vielen herzlichen Dank, ich freue mich auf das Buch schon sehr!
    Grüße von Herzen
    Kerstin

  8. Ich staune gerade ein bisschen. Wie ich dich bis jetzt gerade nie gesehen hatte, hier im weltweiten Internetz.
    Und wie ich jetzt gerade diesen Artikel lese.
    Die anderen spare ich mir auf für ein anderes mal.
    Eine schöne, gute Seite. Danke!

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