Du bist noch da und ich werde ver-rückt

Ver-rückt in der Welt

Vor einiger Zeit habe ich in dem Artikel „Du bist noch da – oder werde ich verrückt?“ eine Frage aufgegriffen, die viele Trauernde nach dem Tod eines lieben Menschen beschäftigt: Ist dieser Mensch wirklich komplett verschwunden oder bleibt doch etwas von ihm bestehen, gibt es etwas, das weiterlebt? Heute habe ich den Impuls, noch einmal daran anzuknüpfen. Diesmal ohne Fragezeichen. Denn zum Einen ist da für mich keine Frage mehr, ich habe für mich Klarheit darüber gefunden, dass es nach dem Tod weitergeht. Klarheit und Frieden. Damit sage ich nicht, dass ich irgendwas weiß, es ist nur meine eigene Wahrheit und für dich kann es sich ganz anders anfühlen. Und dann bin ich tatsächlich ver-rückt worden dank Julians Tod. Ich wurde an eine neue Stelle gerückt. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich mehr und mehr an den Platz rücke, an den ich schon immer gehörte. Damals hat es sich natürlich nicht so angefühlt. Ich wurde ja auch nicht sanft und behutsam in eine neue Richtung geschoben, sondern eher vom einen Moment auf den anderen aus der Welt katapultiert. Es kam niemand, um mich zu fragen oder zumindest freundlich auf das, was geschehen würde, vorzubereiten. Ich wurde einfach ungefragt herauskatapultiert. Aus meiner Welt mit Julian und auch aus der Welt, wie ich sie bis dahin sah und kannte. Nichts schien mehr so zu sein wie vorher, nichts schien mehr wahr zu sein, was ich bin dahin für wahr gehalten hatte.  Es war als würde sich eine neue Welt öffnen und ich wurde einfach hinein gestoßen und sollte mich nun ohne Karte, Navi oder Reiseführer darin zurechtfinden.

Ich hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte, und es machte mir oft große Angst. Einerseits war da dieses gute Gefühl, wenn ich Zeichen von Julian erhielt oder auch einfach die Verbindung zu ihm weiterhin spüren konnte. Er war mein wichtigster Begleiter in dieser Zeit und die Gewissheit, dass ein Teil von ihm weiterlebt, dass er nicht ganz verschwunden ist, gab mir immer wieder Kraft. Kraft, um überhaupt weiterzugehen. Und zugleich stellte es einfach alles auf den Kopf. Ich befand mich scheinbar noch immer in der gleichen Welt wie zuvor, um mich herum war alles doch irgendwie gleich geblieben. Aber in mir war alles anders. Wie konnte ich damit nun in dieser Welt sein? Wie konnte ich diese Veränderung ausdrücken? Durfte ich das? Würde ich nicht verstoßen werden dafür, für verrückt erklärt eben und vielleicht tatsächlich aus der Welt geworfen? Wer war ich nun, wie wollte ich sein, wie konnte und durfte ich nun sein? Wer war diese neue Silke, die irgendwie noch etwas mit der alten zu tun hatte und doch auch so anders war?

Diese Frage beschäftigte mich wirklich lange. Lange Zeit suchte ich verzweifelt nach meinem neuen Platz in der Welt, nach meiner Identität und auch nach meinem Sinn. Immer wieder drehte ich mich damit im Kreis. Immer wieder fragte ich mich auch, warum ich nicht einfach wieder in meine alte Welt gehen konnte. Augen wieder schließen, so tun als wäre nichts geschehen. Wäre das wirklich einfacher gewesen? Doch ein Zurück gab es für mich nicht. Ich hatte den Tod gesehen und er hatte anders ausgesehen, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war zugleich grausamer und freundlicher. Endgültiger und weniger endgültig zugleich. Ich hatte ihn bis dahin verdrängt, so getan als würde er mich nicht betreffen oder zumindest noch lange nicht. Ich dachte, man könne mit ihm verhandeln, ihn rauszögern, die Medizin hat das schon im Griff. Und dann schlich er sich an der Medizin vorbei, interessierte sich in keinster Weise dafür, was ich über ihn dachte, und nahm meinen Julian mit. Einfach so. Für immer. Aber etwas blieb und etwas in mir öffnete sich auch dadurch. Das Leben erhielt einen neuen Blickwinkel, eine neue Intensität und war auf einmal voller neuer Möglichkeiten. Möglichkeiten, die ich erst jetzt so langsam auch ergreifen kann. So wurde ich zugleich ganz plötzlich und doch auch in einem jahrelangen Prozess ver-rückt.

Seitdem mache ich viele Dinge, die die „alte Silke“ wirklich verrückt gefunden hätte. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn wir uns begegnen könnten. Wenn ich ihr erzählen würde, wie ich nun lebe und woran ich glaube. Wenn sie so manchen Gesprächen, die ich heute führe, zuhören würde. Was würde sie denken, was hätte ich früher darüber gedacht? Verrückt einfach. Teilweise habe ich das Gefühl, eine Parallelwelt gefunden zu haben, die in meinem früheren Leben überhaupt nicht existierte. Gerade in letzter Zeit denke ich immer häufiger, wie verrückt das Leben wirklich ist. Und ich liebe es. Ja, ich liebe das Leben gerade wegen dieser Verrücktheit. Ich bin heute dankbar dafür, an diese neue Stelle gerückt worden zu sein. Ganz langsam fühlt es sich so an, als könnte ich sie mehr und mehr einnehmen. Ich fange an, es mir darin gemütlich zu machen und immer mehr darauf zu vertrauen, dass das was geschieht richtig ist, genau so wie es ist. Auch wenn ich es jetzt vielleicht noch nicht begreifen kann. Ich muss nicht mehr alles verstehen. Ich vertraue meinen Gefühlen und lasse mich von ihnen leiten. Ich frage nicht nach wissenschaftlichen Beweisen, nicht für alles. Es reicht mir, dass ich fühle, was für mich gerade stimmig ist. Ich darf meiner eigenen Wahrnehmung, meinem Herzen vertrauen. Und zugleich stehe ich natürlich nach wie vor in diesem Leben, werde ich mit kleinen und größeren Herausforderungen konfrontiert und bin mir dessen bewusst, wie viel Leid es hier gibt. Aus dieser Perspektive heraus ist manches nicht leicht zu ertragen, frage ich mich manchmal, warum es immer wieder so schwierig sein muss. Warum Menschen sterben oder krank werden, warum wir leiden müssen. Aber immer häufiger gelingt es mir, diese andere, größere Perspektive einzunehmen. Es gibt mehr als das, was wir sehen können. Mehr als das, was ich früher glaubte zu wissen und mit Sicherheit auch mehr als das, was ich heute wahrnehme und glaube. Für mich ist es wie ein „Rauszoomen“ aus meiner Situation. Bleibe ich nah dran, betrachte ich nur dieses eine Leben, dann ist und bleibt es schrecklich, was geschehen ist. Julian musste viel zu früh sterben, ich wurde viel zu früh Witwe. Aber wenn ich rauszoome, dann sehe ich, dass in Anbetracht des Unendlichen nichts Schlimmes geschehen ist. Wir sind hier auf der Erde, um Erfahrungen zu machen und uns weiter zu ent-wickeln. Zu meiner Erfahrung in diesem Leben gehörte es, früh mit dem Tod meines Lebenspartners konfrontiert zu werden. Julian war hier für seine ganz eigene Erfahrung. Und jetzt macht er gerade woanders neue Erfahrungen und ich bleibe noch eine Weile hier, um das zu erleben, was dieses Leben noch für mich bereithält. Und alles ist gut genau so wie es ist. In all seiner Verrücktheit.

 

Wie geht es dir damit? Kennst du diese Suche nach dem neuen Platz im Leben auch? Wie fühlt es sich für dich an? Ich freue mich, wenn du mich und uns an deinen Gedanken zum Leben und zum Tod teilhaben lässt. 

 

Bei all diesen großen Fragen war und ist es für mich wichtig, nicht ganz alleine zu sein. Menschen zu finden, die sich ähnliche Fragen stellen, die vielleicht schon ein paar Schritte weiter auf diesem Weg sind, die mir eine Orientierung in dieser ver-rückten Welt sein konnten. Und diese Menschen gibt es. Immer wieder sind mir unterwegs passende Reisebegleiter begegnen – meistens genau in dem Moment, als ich dafür bereit war. Wenn du das Gefühl hast, ich könnte dich ein Stückchen begleiten, weil ich vielleicht schon ein paar Meter weiter gegangen bin als du, reiche ich dir gerne meine Hand. Über Texte wie diesen und gerne auch im Rahmen meines Begleitungsangebots. Ob über einen längeren Zeitraum oder auch nur in ein oder zwei Gesprächen oder Mails, um ein paar Impulse oder Ideen zu bekommen – alles ist möglich. Mein Angebot findest du hier.

   
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13 Antworten

  1. Hallo Silke,

    diesen Worten ist einfach nichts mehr hinzuzufügen, beleuchten sie doch so intelligent und ganzheitlich dieses so „normale“ Gefühl des Verrückt Seins oder -Werdens im Trauerprozess so vieler Menschen.

    Und der Bindestrich macht hier den alles bedeutenden Unterschied: Das Leben, die Beziehung, die Weltsicht wird ver-rückt. Und das kann mit und trotz all dem Schmerz auch immer wieder eine Chance bedeuten.
    Irgendwann.

    Danke für diesen Text.

  2. Liebe Silke,
    Ich wusste nicht das Leere so wehtun kann, ich habe es nicht einmal geahnt. Diese Leere zeigt Dir auf grausame Weise, dass Du weiterlebst.
    Ich fühlte mich nicht von der einen Welt in eine andere Welt verrutscht als sie gestorben ist. Es war die gleiche Welt nur mit Mauern um mich herum die kein Licht mehr durchgelassen haben.
    Jetzt, nachdem etwas Zeit vergangen ist, sind die Mauern schon etwas durchsichtiger geworden. Der Zeit Abgleich mit Dem was war und Dem was ist klappt immer besser. Es gibt immer mehr Tage ohne diese Leere. Scheinbar, weil man ist ja trotzdem alleine.
    Und, ich denke auch dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht so richtig verstehen. Ich träume öfter so real von ihr, dass ich glaube sie war da. Das erscheint so real das mit dabei ein Dankeschön über die Lippen kommt.
    Ich bedanke mich auch über Deinen guten Artikel. Tut gut diese zu lesen.
    Liebe Grüße Andreas

    1. Danke dir, lieber Andreas, für deinen Kommentar. Ich finde es immer wieder berührend zu lesen, wie andere diese Gefühle beschreiben. Wie anders es sich letzten Endes für jeden anfühlt. Für mich war es ein „Aus-der-Welt-Fallen“ und für dich gab es diese Mauer, die auf einmal mitten in deiner Welt stand. Was für ein kraftvolles Bild. Eine feste Mauer, die mit der Zeit immer durchsichtiger wird. Vielleicht auch an unterschiedlichen Stellen in einem anderen Tempo. Oder manchmal mit Spiegelungen, die den Blick hindurch wieder für den Moment erschweren.
      Alles Liebe für dich
      Silke

  3. Ja, wir Hinterbliebene. Hier in dieser anderen Welt. Ausgestattet mit Antennen etwas zu fühlen, wahrzunehmen, was uns vorher nicht möglich war. Die Aura um die einzelnen Menschen. Und wenn da bei dem einen oder anderen Mitmenschen das Schicksal immer wieder zuschlug, ist diese Aura für uns sehr greifbar. Menschen denen ich heute begegne, haben eine andere „Berührung“ in dieser schnellen Welt. Und es git etwas danach. Ich war halt Mann; wenn Mensch stirbt, Energie aus und die Hülle vergeht. Wie bei einer alten Maschine die nicht mehr benötigt wird. Nach und nach löst sich die Materie auf. Aber Beim Übertritt in den Tod ist noch etwas in die andere Dimension oder wo auch immer hin. Zweimal nach Isi Ihrem Tod hat sie mir das gezeigt. Das ich gelöst von dem verzehrten Körper, frei wieder ohne schmerz. 3 Jahre und 2 Monate. War gerade in Östereich. Da waren wir 4 Monate vor Ihrem Tod. An den Stellen wo wir damals waren, da ist ein Teil der Erinnerung sehr aktiv. Zeit……… Blickrichtung. Leben, nicht nur für uns, sondern auch für unsere Verstorbenen. Sie erleben mit uns dieses andere Leben. Sicherlich ab und zu unverständlich für sie mit unseren Handlungen.
    Schaut nach oben ins Licht und die Wärme, nicht ins dunkel.
    lg

  4. Gestern genau vor zwei Wochen ist unsere geliebte Tochter mit Ihrem wunderbaren Mann und einem anderen Kletterfreund in den Schweizer Bergen tödlich verunglückt.
    Schon im ersten Moment, als wir es erfuhren, sehr behutsam von einem Polizeibeamten, der selbst eine Tochter in gleichem Alter und dem selben Namen trägt (welch eine Synchronizität!), hat mich eine Wolke aus Liebe und Ewigkeit eingehüllt.
    Meine Dankbarkeit ist endlos, dass ich jetzt, im Bewusstsein dessen, das das, was mir immer auch eine Möglichkeit erschien, Wirklichkeit geworden ist, nämlich das eines meiner Kinder oder mein geliebter Mann, nicht mehr nach Hause kommen könnte, immer noch und in absoluter Präsenz im EinversatndenSEIN BIN.
    Für mich sind die beiden „Kinder“ so nah wie niemals im irdischen sein konnten. Sie sind im Tau der Morgenwiese, die ich mit meinem Mann jeden Morgen schweigend und mit leichtem Herzen zu Sonnenaufgang durchschreite, sie sind in den Feuerfunken abends, wenn wir Feuer machen und ihren weißen Salbei und das duftende Weihrauchholz räuchern, sie sind im Duft der Wiesen, ja, die Wiese selbst und der Himmel, die Sterne und nicht mal einen Atemzug von uns entfernt. Sie sind der Atem und die Luft, sie sind die Wiese und der Duft. Wir „wissen“ ES. Und wenn es für andere nicht so ist, dann trösten wir viele, viele, die nach dem warum fragen oder gar fragen, weshalb Gott so etwas zuläßt (und ich sage de Wahrheit, dass dies vor allem von jenen kommt, die zu einer Kirche gehören, ihrem Glauben frönen). Meine Gedanken und Fragen waren von Beginn an, große, liebende ewige Große Göttin ~ Gott ~ Vater ~ Mutter ~ ALLES-IN-EINEM, WIE werde ich damit umgehen? Wie spüre ich Liebe, alle Geschenke dahinter und die göttliche Gnade??
    Ja, es sind Momente, die schwer sind, in denen sich mein Herz und mein Magen zusammenziehen, wenn heiße, doch süße Tränen meine Wangen herabrinnen. Natürlich, die gibt es und es wäre vielleicht sehr seltsam, wenn das nicht auch DA wäre und ich ihm diesen Platz gerne einräume, solange es zu fühlen ist. Und doch ist es so, dass mich just in diesen „schweren“ Augenblicken diese endlose Liebe DA ist, die mich einhüllt und durchdringt, als würden mich die liebenden Arme der Göttlichen Mutter so zart und heilsam ummanteln, dass ich gar nicht anders kann, als mich diesem Geborgenheit spendenden SEIN hinzugeben, fast als würde ich dahinschmelzen, alles loslassen, was da war an Festhalten, Schwere, Schmerz, Trauer oder dunklen Gedanken.
    Ich bin zutiefst dankbar und weiß, bisher konnte und kann ich alles annehmen, sogar, dass die Genuntersuchungen, die rechtlich sein müssen, immer noch nicht abgeschlossen werden konnten und das warten und wissen, ihre körperlichen Überreste liegen da immer noch unter weißen Tüchern. Ich kann es annehmen, hinnehmen und wissen, nichts geschieht ohne göttlichen Willen.
    Und das wunderbare, dass unsere drei erwachsenen Jungen auch mehr und mehr dahinkommen, es so zu sehen. Dankbar sind, dass wir nicht zu verzweifelt sind. Das sind Geschenke, die wir ohne diesen Zustand ja niemals erfahren hätten dürfen. Was ist das Leben anderes als ein großes, wunderschönes Atmen im Atem des ALLES-WAS-IST!!
    Heute morgen las ich den Satz aus Kurs in Wundern: „In Liebe ausdehnende Wesen haben keine Angst davor die Dinge anzuschauen, die sie gemacht haben.
    Sie schrecken nicht vor ihren eigenen Schöpfungen zurück, weder passen sie sich ihnen an.
    Sie drücken ihrer Welt auch keinen Stempel auf, der sie im Nachhinein selbst verängstigt.
    Sondern sie Fragen: Was bist du? Gefolgt von einem stillen Lauschen!“
    Was für eine Stille die ich da empfinde, Freundliche Stille, Entspannung und ruhiges, sanftes Atmen. Halleluja, vielleicht singe ich es später lauthals am mystischen Wasserplatz im Wald.
    Mitakuye Oyasin ~ Namastè Padma Ellen Hochrein

    1. Liebe Padma,
      vielen Dank für deinen emotionalen, liebevollen, berührenden Kommentar! Nun antworte ich erst so spät darauf und das tut mir leid. Mein eigenes Leben geht gerade ganz verrückte Wege und so komme ich erst jetzt dazu. Ich hatte vom Tod deiner Tochter und ihrem Freund bereits auf Facebook gelesen und es berührt mich einfach sehr, wie du damit umgehst. Die Liebe ist in jedem Wort spürbar und ich wünsche dir von Herzen, dass sie dich weiter tragen wird. Das wird sie sowieso, sie wird immer da sein, aber ich wünsche dir, dass du dich weiterhin so vertrauensvoll hineinfallen lassen kannst mit allem, was da ist. Von Herzen eine liebe Umarmung für dich
      Silke

      1. Danke, das tut gut „ernst“ genommen zu werden. Ich erfahre immer wieder Unverständnis, als würde es „noch richtig dick“ kommen, eine Drohung, die zwar keiner direkt ausspricht, doch die ich spüre. Natürlich bin ich nicht ausschließlich euphorisch und lache laut, mach Spaß und Witze als sein nichts geschehen, es sind garantiert mehrfach die Woche einige Situationen, in denen mich Tränen vereinnahmen und dann fühle und weine ich genauso, wie ich Freude und Dankbarkeit empfinde. Ich nehme alles so an wie es IST, wie es kommen wird und ich weiß es nicht. Ich weiß NICHTS. Ich vertraue und lebe und liebe, und das sicherlich bewusster und radikaler als vorher. Das Leben ist ein Mysterium, der Tod für uns Lebenden sicherlich noch mehr. Für mich auf alle Fälle. Ein schönes Geheimnis, dem ich immer mehr und in verschiedensten Ausrichtungen nahe kommen möchte.
        In Liebe
        Namastè Padma

      2. Ja, das glaube ich dir, dass dir da Unverständnis entgegen kommt. Das ist schade. Du kannst dir da selbst voll vertrauen, niemand anderes weiß wirklich etwas über dich oder deine Trauer. Wie du schon schreibst, selbst du weißt eigentlich nichts. Wir haben doch sowieso immer nur das Hier und Jetzt. Und Gefühle sind dazu da, gefühlt zu werden. Genau in dem Moment. Es fühlt sich für mich beim Lesen so an, als würdest du genau das leben. Und dann ist Trauer so individuell, die Art wie wir mit einem Verlust umgehen. Niemand kann vorhersagen wie es weitergehen wird. Wer weiß, vielleicht wird noch eine „schlimmere“ Phase kommen. Und vielleicht nicht. Und was bedeutet überhaupt „richtig dick“? Es ist wie es ist und im Hier und Jetzt spielt es doch gar keine Rolle. Vertrauen, ja, ich glaube, darum geht es. Vertrauen, leben und lieben – das hast du total schön geschrieben. Also lass diese „Drohungen“ an dir vorbei fließen, sie haben nichts mit dir zu tun. Manchmal sagt sich das von außen so leicht .. Ich wünsche dir einfach, dass du deinen Weg weiter gehst, du machst es wunderbar. Ich habe vor einiger Zeit dein Interview beim Kongress von Alicia gesehen und habe dich dort als inspirierende, weise, liebevolle Frau erlebt. Danke für dein Sein. Von Herzen alles Liebe für dich und eine liebe Umarmung, wenn du magst.

  5. Wunderschön und wahr, liebe Padma!
    Ich fühle auch diese Liebe und das Einssein mit allem was ist. Auch mit jeder Träne, die fließen darf.
    Namasté, Anna Farina

  6. „Mir geht es gut. Ich bin jetzt ganz befreit. Und sag‘ das bitte allen Leuten!“ Diese Worte meiner Frau Sabine wurden mir nach ihrem viel zu frühen Tod im Februar 2018 übermittelt. Und sie sind sowas von zutreffend.
    Unsere Welt und die Welt der Verstorbenen sind wohl nur durch ein Gewässer voneinander getrennt. Und wir können üben, diese „Grenze“ bewusst zu überschreiten.
    Ich bin meiner Frau für die 30 Jahre dankbar, die ich mit ihr durchleben und durchleiden durfte. Die fortschreitende neurologische Erkrankung schaffte es bis zum Schluss nicht, ihr ihren Lebensmut und ihre Lebensbejahung zu nehmen, auch wenn die körperlichen Einschränkungen immer offensichtlicher wurden.
    Sie nannte mich gerne ihren „Engel auf dem Weg“, und dort sehe ich mich seit elf Monaten umso mehr. Ihre Hilfe, ihre Unterstützung und ihr Schutz sind mir gewiss. Ich freue mich mit ihr in der Natur, besonders in unseren geliebten Bergen, frage sie vor wichtigen Entscheidungen um Rat und lasse auch immer dann die Tränen kullern, wenn es gerade dran ist, egal wo.
    Sabines Offenheit und ihr Interesse an ihren Mitmenschen scheinen auf mich übergegangen zu sein. Es erstaunt mich immer wieder, welche Türen sich dadurch öffnen.
    Ja, der Verlust eines geliebten Menschen ist sehr schmerzhaft, selbst dann, wenn er wie in Sabines Fall schon für ihr 38. Lebensjahr prognostiziert war und wir damit in gewisser Weise „vorbereitet“ waren. Aber Sabine begleitet mich auf meinem weiteren Lebensweg, und das macht mir Mut.

    1. Welche schöne Worte du gefunden hast, lieber Reinhard. Ja, deine Frau begleitet dich in deinem Herzen und diese Verbindung, die ihr zu ihren Lebzeiten hattet, darf und wird weiter bestehen, die Liebe weiter fließen zwischen euch.

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